Freitag, 3. September 2010

Sarrazin entpuppt sich als Kanzlerfänger

Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin hat viele Gemüter erhitzt. Hitzige Debatten blieben aber leider aus. Die Wortmeldungen waren eher durch Anschuldigungen und Empörung geprägt. Ob sich einzelne nun trauen, sich mit dem streitbaren ehemaligen Finanzsenator konstruktiv auseinander zu setzen ist fraglich. Bemerkenswert ist allerdings, wie er es vermag die Gesellschaft zu polarisieren. Und noch viel auffälliger ist, wie eine, deren Machtworte in letzter Zeit vermisst wurde, ungewohnt klar Stellung bezieht.
Angela Merkel ist weder für ihre Geradlinigkeit noch eine zügige Reaktion bekannt. Umso überraschender ist es, wie es jemand aus einer Institution, die eigentlich politikunabhängig agiert, vermag, die Kanzlerin aus der verbalen Ecke zu locken.
Ziemlich geradeaus hat sie Sarrazins Äußerungen als "Unsinn" befunden und dem eventuellen Trichet-Nachfolger Weber nahegelegt, unverzüglich ein Ausschlußverfahren zu prüfen. Dass dieses nun auf Wulffs Schreibtisch liegt, wird von ihr sehr begrüßt. Und nebenbei ist sie eine der wenigen, die eine erneute Diskussion über die Integration von Ausländern fordert. Schäubles Intergrationsgipfel - damals unter großem Tamtam verkündet - sind offenbar nicht sonderlich dienlich.
Recht hat sie in dieser Sache! Endlich hört man mal wieder ein klares Wort der Kanzelrin. Und es tut gut, ihr zustimmen zu können.
Diese Klarheit, so wurde mehrheitlich bemängelt, hat sie in den letzten Wochen vermissen lassen. Der Neustart nach der Sommerpause blieb ungenutzt. Viele Debatten schwelen vor sich hin und so manch einer taumelt ohne klar erkennbare Leitlinie der Kanzlerin verloren umher.
Am kommenden Sonntag will Merkel nun endlich ihre Haltung zum Verbleib der 17 AKWs in Deutschland offenbaren. Juristischem Hickhack über Laufzeitverlängerungen und Sicherheitsstandards soll damit ein Ende bereitet werden. Außerdem konnte mehrheitlich ihr Sprecher Steffen Seibert der Kanzlerin Meinung bezüglich maßvoller Tarifabschlüsse, einem Internet-Gesetz und Hilfen zu Pakistan kundtun. Nichtigkeiten. Bei großen Baustellen wie der Reform der Bundeswehr, der Hartz-4 Sätze, des Gesundheitswesens oder der Finanzmärkte übt sich die Kanzlerin in ihrer gewohnten Beharrlichkeit und wartet bis sich die Probleme in entscheidungsfreundliche Häppchen aufgelöst haben.
Vielen stößt das auf. Vor allem die Parteibasis der CDU vermisst eine Leitfigur. Doch ist diese Kritik angebracht?
Das Kanzleramt ist nach dem Grundgesetz verantwortlich für die Richtlinien der Regierung und deren Politik. Darüber hinaus trägt der/die Bundeskanzler/in die Verantwortung für jedwede getroffene politische Entscheidung. Also Entscheidungen die letzlich auch gefällt wurden. Innerhalb der einzelnen Ministerien aber, sind die jeweiligen Minister für ihre Vorhaben zuständig und haben diese auch gegenüber dem Parlament zu rechtfertigen. Nach dem Kollegial- und Ressortprinzip ist es der Kanzlerin gar untersagt in einzelne Sachfragen einzugreifen und ihren Standpunkt durchzusetzen. Geschichtsbedingt sollte die Machtfülle dadurch begrenzt bleiben. Für alle diejenigen, die nun vermehrt nach Machtwörtern der Kanzlerin rufen sollte demnach gelten, die Verantwortung die sie durch die Gesetzgebung zugesprochen bekommen haben auch dementsprechend zu nutzen.
Das Schweigen der Bundeskanzlerin ist oft kein taktisches Abwarten um beispielsweise Wahlergebnisse nicht negativ zu beeinflussen, sondern lediglich das Vertrauen der Kanzlerin in die Expertise der einzelnen Ressorts. Dazu ist sie verpflichtet.
Darüber hinaus ist sie als Parteivorsitzende anfällig von unten. Da ihr Amt demokratisch gewählt wird, sollte sie es tunlichst unterlassen, ihre Minister zu übergehen und der Legislative ihren eigenen Stempel aufzudrücken. Die Basis könnte es ihr rächen.
Auch wenn Merkels Wortmeldung zu den Thesen von Dr. Sarrazin ungewöhnlich harsch waren, tun sie letztendlich nicht direkt die angebliche Führungslosigkeit ersetzen. Diese wird nicht durch Einmischen in die Vorhaben der Minister demonstriert, sondern durch das Beharren auf die politischen Richtlinien. Dass sich diese mittlerweile nicht mehr aus dem Koaltionsvertrag ableiten lassen, ist eine andere Geschichte.
Die Minister wären also gut beraten, die ihnen zugesicherte Freiheit zu nutzen und ihre Mutlosigkeit nicht hinter der Wortkargheit der Kanzlerin zu verstecken. Dies zu erkennen benötigt keinen Sarrazin, sondern ein generelles Verständniss der Rolle der Bundeskanzlerin.

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