Sonntag, 10. Juli 2011

Syrien - Die Weltgemeinschaft muss endlich handeln

Seit Monaten liefert sich die außerparlamentarische Opposition der Tyrannei des syrischen Regime aus. Anders kann man die Situation auch nicht bezeichnen. Sobald die Menschen auf die Straße gehen werden sie vom Militär und den Garden niedergeknüppelt, verschleppt und gefoltert - auf Befehl. Bis auf brennenden Barrikaden aus Reifen und ein paar Steinewerfern stoßen sie nur geringfügig auf Gegenwehr. Bei laufenden Handykameras werden die Demonstranten niedergeschossen, niedergetreten und malträtiert. Augenzeugen berichten von furchtbaren Gräueltaten. So werden Krankenwagen unter Beschuss genommen, die Verletzte abtransportieren oder Festgenommene zu Tode gefoltert. Amnesty International bezeichnet die Vorgänge als menschenverachtend und ein Fall für den Internationalen Gerichtshof.
Wenn sich die internationale Staatengemeinschaft endlich durchringen könnte, das Vorgehen Syriens gegen die eigene Bevölkerung zu ahnden. Doch danach sieht es im Moment keineswegs aus. Weder die Vereinten Nationen, noch unabhängig von diesen, kann sich die internationale Gemeinschaft auf ein gemeinsames Vorgehen einigen. Nicht einmal auf eine gemeinsame Erklärung zu Verurteilung der Übergriffe kann sie sich einigen. Was für eine Schande. Und Verbrechen!
Seit Beginn der Demonstrationen sind nach Schätzungen von Menschenrechtlern mindestens 1740 Menschen ums Leben gekommen. Jeder Einzelne ist zu viel, wenn er um seine Freiheit kämpft! Die Frage drängt sich auf, wie viele Menschenleben der Staatengemeinschaft ein Eingreifen rechtfertigt?
Als der Sicherheitsrat sich Mitte März zu einer Flugverbotszone über Libyen aussprach, waren die Opferzahlen unter Despot Gaddafi weitestgehend unbekannt - die Schätzungen beliefen sich auf einige hundert bis tausend. Dazu kamen zehntausende Flüchtlinge und ausländische Arbeiter, die evakuiert werden mussten. Die Situation unterschied sich dennoch von Syrien. Es gab einen organisierten bewaffneten Wiederstand gegen Diktator Gaddafi, der den Westen demonstrativ aufforderte, dem systematischen Morden des Regimes ein Ende zu bereiten. Europa und Co. waren immer noch paralysiert von der Macht und Entschlossenheit arabischer Völker, die plötzlich gegen ihre eigenen Herrscher aufbegehrten. Die romantische Vorstellung einer nahezu gewaltfreien Revolution, unter anderem mit der blumigen Bezeichnung Jasminrevolution, wurde zerstört. Jetzt floss Blut. Und den Entwurf für die Resolution brachte die Arabische Liga selbst ein und wurde maßgeblich mithilfe von Frankreich durchgepeitscht. Noch dazu war Europa mit Libyen stark wirtschaftlich verflochten und ein unkontrollierter Bürgerkrieg hätte eine uneinschätzbare Liefersituation nach sich gezogen.
Nichtsdestotrotz, das menschliche Leid bedingt durch Machtinteressen der Regime vereint Libyen und Syrien. Letzteres wird durch die Weltgemeinschaft aber mit weniger Mitgefühl bedacht. Baschar al-Assad, seine Geheimdienste und der gesamte Machtapparat sind eine Katastrophe für die Menschen. Keine der scheinheiligen Begründungen legitimieren ein Weggucken. Das Verlangen auch die Statuten der UN, ungeachtet der Souveränität innerhalb der eigenen Landesgrenzen. Eine Modernisierung des Weltverbessererclubs und Anpassung der Statuten an die heutige Realität habe ich bereits in der Vergangenheit gefordert.
Warum also greifen die Alliierten nicht ein? Zuerst einmal haben die Syrier Pech, dass sie relativ spät begannen, sich gegen die eigene Diktatur zu Wehr zu setzen. Kriegsmaterial, Soldaten und Kapital sind bereits anderweitig gebunden. Die Parlamente weltweit können ihrer kriegsmüden Bevölkerung nur schwerlich einen weiteren bewaffneten Konflikt zumuten.
Zweitens sind mit dem Land wenig wirtschaftliche Interessen verbunden. Bis auf China, das ein Gros seiner Öllieferungen aus Syrien deckt, sind westliche Staaten wenig in der Exploration syrischer Rohstoffe engagiert.
Drittens ist auch China zusammen mit Russland ein Hauptgrund, warum eine Resolution im Weltsicherheitsrat keine Chance hat. Dass beide Länder es selbst nicht so ernst mit Menschenrechten innerhalb ihrer eigenen Grenzen nehmen, gibt ihnen bei weitem nicht das Recht, ihre Achtlosigkeit über ihre Grenzen hinauszutragen. Darüber hinaus fühlen sie sich brüskiert, wie die in Libyen beteiligten Staaten ihren durch die UN legitimierten Eingriff auslegen und aktiv zum Sturz Gaddafis beitragen. Dabei ist eine politische Einmischung strengstens untersagt. Waffenlieferungen und geheime Verhandlungen mit den Aufständischen tragen ihr Übriges bei. Somit sind die westlichen Staaten teilweise selbst dafür verantwortlich, dass ihnen kein Vertrauen für eine weitere Resolution entgegengebracht wird. Und trotzdem, dass zwei Staaten die Weltgemeinschaft daran hindern können, Leben zu schützen ist ein Unding! Einmal mehr zeigt sich, dass eine Reform der UNO unabdingbar ist.
Auch wenn China und Russland übergangen werden könnten, einig sind sich die übrigen Staaten weiterhin nicht. Israel schätzt Syrien als zwar feindlich gesinnten, aber dennoch wünschenswerten Nachbarn ein, der für Stabilität sorgt. Insgeheim mag der Westen auch noch hoffen, dass der anfangs als Reformer begrüßte Baschar al-Assad sich nicht völlig der Tyrannei verschrieben hat, nur ein getriebener seiner Sippschaft und Geheimdienste ist und sich eines Tages doch noch mit seinem Reformkurs durchzusetzen vermag.
Viertes war Libyen nach der Abkehr der Arabischen Liga außenpolitisch vollends isoliert. Syrien ist über die Hisbollah allerdings eng mit dem Libanon verflochten und erfährt auf der anderen Seite Unterstützung aus dem Iran. Die Revolutionsgarden des Iran sollen gar selbst in das Geschehen auf syrischen Boden eingegriffen haben, beratend und prügelnd. Ein Militärschlag gegen Assad würde, so ist zu vermuten, eine große Schar Terroristen auf den Plan rufen und eine großangelegte Offensive mitsichbringen. Es droht eine komplette Destabilisierung des Nahen und Mittleren Ostens.
Fünftens Flüchtlinge. Europa sah sich durch den Konflikt in Libyen einer enormen Flüchtlingswelle ausgesetzt. Wenig versetzt die Europäer in größere Panik. Der Flüchtlingsstrom aus Syrien hält sich hingegen in Grenzen und die Türkei hat sich bereitwillig erklärt, jene solche großzügig aufzunehmen - wenn auch nur zeitweilig.
Und sechstens fehlt es den westlichen Nationen an jeglichen Alternativen. Libyen hat einen Übergangsrat. Und Syrien? Der lang etablierte Familienclan der Assads würde ein Machtvakuum nach dessen Abgang hinterlassen, das mitunter von weit schlimmeren Kräften gefüllt würde - vorausgesetzt es gelänge, das Regime zu stürzen. Nach den unerwartet zermürbenden Kämpfen in Libyen stünde eventuell ein drittes Afghanistan vor der Tür. Der Ausgang einer Intervention wäre so ungewiss, dass selbst Draufgänger Sarkozy sich nicht zumutet einen solchen in Erwägung zu ziehen.
Unter all dem muss die syrische Bevölkerung leiden. Eine Befriedung der Massen scheint mangels ernsthafter Reformbemühungen des Regimes nicht in Sicht. Und weil sich die Staatengemeinschaft nicht über ihre Differenzen einigen kann, sterben jeden Tag Menschen. Das Zögern muss endlich ein Ende haben, sonst droht der Menschheit einmal mehr eine humanitäre Tragödie von unnötigen und schrecklichen Ausmaßen. Wenn der Weltsicherheitsrat sich nicht durchringen kann, müssen die Staaten, die beherzt zu einem Eingriff bereit sind, unabhängig intervenieren. So wie einst die USA nahezu im Alleingang den Kampf gegen den Terrorismus in die Welt hinaus trugen, können einzelne Staaten mit einer weitaus legitimieren Agenda den Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen aufnehmen. Sie wären es der Menschheit schuldig. Und auch den Opfern des syrischen Regimes.