Dienstag, 12. April 2011

Grüne Revolution frisst ihre eigenen Kinder

Was ist Deutschland eine atomfreie Zukunft wert?

Die Katastrophe im Atomkraftwerk Fukushima zieht weit größere Kreise als die japanische Regierung den Evakuierungsring um das AKW. In Deutschland sind die Wellen des zerstörerischen Tsunamis nicht so verheerend tödlich, krempeln die Gesellschaft dennoch gehörig um. Nicht Häuser wurden weggespült, sondern politische Bastionen der konservativen Logik: Deutschland braucht die Kernkraft; für einen nachhaltigen Ausstieg, so die Argumentation; für das Portemonnaie der Stromkonzerne, so die Vermutung, und für die Aufstockung des Sparpaketes, so die Tatsache.
Was das Unglück in Japan mit dem deutschen Energiemix zu tun hat, ist auf erstem rationalen Blick nicht offensichtlich. Deutsche Atomkraftwerke seien sicher, lautete die damalige Beschwichtigung der schwarz-gelben Bundesregierung. Plötzliche plattentektonische Naturkatastrophen von japanischen Ausmaßen werden weiterhin nicht in Mitteleuropa erwartet. Jedoch offenbare das Desaster die Unberechenbarkeit strahlender Energielieferanten wie Uran und schließlich dürfe man selbst als Politiker seine Meinung ändern. So viel zur Begründung des Schwenks der Koalition, im Besonderen der FDP. Wenn die Laufzeitverlängerung der Regierung auf Meinungen beruhte, dann vielen Dank!
Damit zeigt Merkel nicht ihre Einsichtigkeit oder gar ihr grünes Gewissen, sondern lediglich, dass das Aus für den Ausstieg argumentativ nicht stichhaltig war. Resultat: wilder Aktionismus. Ob nun Wahlkampftaktik oder nicht, das Moratorium zur Abschaltung der sieben Altmeiler und Krümmel ist weit tiefgreifender und folgenreicher als ein paar Wählerstimmen. Das muss selbst Schwarz-Gelb gewusst haben. Und nun haben sie den Salat: eine versalzene Wahl und den grünen Miesepeter.
Der grüne Miesepeter ist wie das Ying und Yang: ein schneller Ausstieg aus der Atomenergie bedeutet zwar weniger Risiko auf kürzere Zeit und eine geringere Menge an radioaktiv verseuchtem Abfall (und vielleicht Wählerstimmen). Gleichzeitig sind damit allerdings auch hohe finanzielle, wirtschaftliche und ökologische Herausforderungen zu überwinden bei denen teilweise selbst theoretisch keine schnelle Lösung möglich ist. Um ihre Glaubwürdigkeit nicht noch weiter zu ruinieren, kann es sich die Bundesregierung nicht leisten, den Miesepeter wieder von sich zu schieben. Für eine Kehrtwende ist es zu spät.
Entgegen der Gelassenheit der Opposition, ist dies jedoch nicht nur ein Problem der schwarz-gelben Regierung. Im Laufe der Debatte werden wir zwangsläufig zu dem Punkt kommen, an dem sich die gesamte deutsche Gesellschaft entscheiden muss, was ihr der Atomausstieg wert ist.
Und dieser Punkt wird in die Geschichte eingehen. Es geht bei Weitem nicht mehr darum, dass Parteien ihr Grundsatzprogramm bekräftigen oder abändern. Es geht um die Frage, ob die deutsche Gesellschaft nach all den Jahren ökologischer Vernunftserziehung sich auch der Tragweite dieser Entscheidung bewusst ist. Und inwieweit sie diese mitbeeinflusst. Jeder wird sich die Frage stellen, mit wie viel Euro atomstromfreier Strom die Geldbörse zusätzlich belasten kann. Soziologisch werden aber ganz andere Fragen eine Rolle spielen, die das Selbstverständnis unserer Gesellschaft prägen werden.
Wie viel ist uns ein grünes Gewissen wert? Ziehen wir Kohlekraftwerken AKWs vor? Was können wir unseren Kindern aufbürden? Wie viel Atomschrott können wir verkraften? Was bedeutet uns der ungestörte Blick auf Täler und Auen? Sind wir bereit Schweinswale für unseren Strom zu opfern? Können wir rechtfertigen, Seetaucher und andere Zugvögel anstatt Uran zu verbrauchen? Geben wir Moore und Wiesen für Anbauflächen von Monokulturen auf? Sind wir entschlossen für eine bedingungslose Selbstversorgung mit Elektrizität die Artenvielfalt aufs Spiel zu setzen? Und vor allem, wie können wir diese unwiederbringlichen Entscheidungen den kommen Generationen begründen? Mit einer Naturkatastrophe auf der anderen Seite des Globus? Oder unserem Wunsch nach mehr Sicherheit?
Auf all diese Fragen wird es keine schnelle Antwort geben. Auch die Bundesregierung wird sie nicht beantworten können und sollte sich auch nicht anmaßen dies zu tun. Es braucht eine breite gesellschaftliche Debatte die wahrheitsgemäß und offen geführt wird, und kein Netzausbaubeschleunigungsgesetz oder dergleichen. Eine Entscheidung, die all unser Leben, unsere Natur und zukünftige Sicherheit so stark beeinflusst, rechtfertigt auch den Gebrauch von Volksentscheiden; um eine Nation wirklich vor die Wahl zu stellen.
Dass diese Debatte leidenschaftlich geführt würde, zeichnet sich bereits heute ab. Unzählige Gutachten, Sachverständigenräte, Kommissionen und so weiter behaupten entweder, der Ausstieg sei nicht ohne erheblichen ökologischen Einschnitten zu bewältigen, das Gegenteil oder irgendetwas dazwischen. Jedoch muss für jeden klar sein, dass ein Komplettausstieg nicht ohne ökologische Folgen bleiben kann. Es wird immer ein Miteinander-Aufwiegen bleiben. Alles natürlich unter der Prämisse nicht zum Netto-Importeur von Strom zu werden. Auch diese Tatsache muss zur Disposition stehen. Deutschland versorgt sich auch nicht selbst mit Öl, Eisenerz, Edelmetallen, etc. Woher also der Anspruch auf Elektrizität?
Der deutsche Energiemix in der Zukunft ist so unbestimmt wie noch nie. Plötzlich ist alles möglich. Weniger möglich als viel mehr sicher gilt jedoch: das Leitbild grüner Politik, der Ausstieg aus der Kernenergie, wird zwangsläufig auf Kosten anderer grüner Maxime wie Artenschutz gehen. Es ist nun an der Gesellschaft zu entscheiden, was ihnen von größerer Bedeutung ist. Zu ihrem Wohl. Und dem nachfolgender Generationen.

Freitag, 8. April 2011

EZB-Entscheidung ist keine Zinswende sondern ein politischer Befreiungsschlag

Die gestrige Entscheidung der Europäischen Zentralbank den Leitzins um ein Viertel Prozentpunkt von 1,0 auf 1,25 Prozent anzuheben stößt auf geteiltes Echo im Markt. Richtig freuen kann sich allerdings niemand.
Derzeit stehen sich zwei Lager gegenüber. Die einen fürchten die steigende Inflation, ausgelöst mehrheitlich durch außereuropäische Preissteigerungen bei beispielsweise Öl und Lebensmittel, und die Bildung von Blasen durch Kreditexzesse denen ein niedriger Leitzins dienlich ist.
Die andere Seite sorgt sich um die Konjunktur der sogenannten PIGS – Portugal, Irland, Griechenland und Spanien. Bis auf letzterem hänge alle am Tropf der EZB. Eine Erhöhung der Leitzinsen, also der Zinsen, die Banken an die Zentralbank für geliehene Liquidität und eben diese Staaten für die Hilfsdarlehen aus dem EFSF bezahlen, wird deren wirtschaftliche Erholung weiter erschweren und möglicherweise mitunter sogar zum Scheitern verurteilen.
Die Meinungen über den Effekt dieser Entscheidung gehen weit auseinander. Die meisten Ökonomen halten die Auswirkungen jedoch für marginal. Aus diesem Grund werden zusätzliche Anhebungen erwartet, da durch einen solchen Schritt dem primären Ziel der EZB, die Inflation zu begrenzen, womöglich wenig geholfen ist. Dies liegt mitunter auch daran, weil der hiesige Preisanstieg nicht hausgemacht ist.
Andere Wirtschaftswissenschaftler prophezeien jedoch eine ähnliche Tragweite dieser Entscheidung wie die Erhöhung 2008, welche die Krise im Euroraum drastisch verschärfte. Liquiditätsengpässe und Refinanzierungsschwierigkeiten seien vorprogrammiert.
Wahrscheinlich haben beide Lager recht. Die Krise in den Peripherie-Staaten wird sich weiter verschärfen und die Gefahr einer Überhitzung der Wirtschaft der Kernländer konnte gemindert werden. Nur sind diese Effekte äußerst gering und werden durch andere Ereignisse aufgefangen oder gemildert werden. Die Entscheidung der Europäischen Zentralbank kann somit kein Umdenken in ihrer Geldpolitik bedeuten.
Der Bank geht es vielmehr darum, einen politischen Befreiungsschlag zu exerzieren. Durch die Finanzkrise ist die EZB zu einem Retter in der Not geworden. Viele Euro-Staaten haben die Mechanismen der EZB ausgenutzt um eine Verschlimmerung der Krise abzuwenden, gleichzeitig aber auch nicht selbst unbeliebte wirtschaftliche Reformen einleiten zu müssen, die einen drohenden Staatsbankrott hätten abwenden können.
Lange hat sich die Zentralbank dem politischen Einfluss verwehren können. Als Vorbild galt die Bundesbank. Während der Krise ist der Druck der Regierungen auf Trichet jedoch so groß geworden, dass das Unerwünschte unvermeidlich wurde. Sicherlich kann es nicht im Interesse der EZB liegen, den Euro-Raum auseinanderbrechen zu lassen. Die Einflussnahme war allerdings offensichtlich.
Den Euro-Staaten blieb so mehr Zeit, den heimischen Konsum wieder anzukurbeln anstatt durch Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen einen möglichen aufkeimenden Aufschwung im Kern zu ersticken. Den Staaten unter dem EFSF-Rettungsschirm bleibt nun auch das nicht erspart. Und die übrigen Länder konnten sich, ohne großen Verzicht üben zu müssen, auf eine wieder anziehenden Weltkonjunktur vorbereiten.
Damit soll nun vorerst Schluss sein. Die Entscheidung der EZB wird den Markt nicht aus den Fugen geraten lassen. Aber sie demonstriert mit einem Paukenschlag, dass die Euro-Staaten von jetzt an wieder selbst für ihre Haushalte verantwortlich sind und sich die EZB erneut ihrem eigentlichen Ziel widmet: Preisstabilität. Vielleicht ist das endlich der Anlass für ernsthafte und tiefgreifende wirtschaftliche Reformen, in allen Euro-Staaten.

Mittwoch, 6. April 2011

UNO light: die Staatengemeinschaft verfehlt ihr oberstes Ziel ihrer selbst wegen

Die Vereinten Nationen, ein Nachkriegskonstrukt zur Schaffung und Wahrung des Weltfriedens, stehen sich selbst bei der Verfolgung der eigenen Ideale im Weg. Diese sind der Erhalt des weltweiten Friedens und eine Garantie für internationale Sicherheit.

Neue Herausforderungen

Doch schwelenden Konflikte im Maghreb und Nahen Osten zeigen, dass selbst im Zeitalter des ungehinderten Informationsflusses Despoten auf ihre eigene Bevölkerung losstürmen und Ihrer Macht wegen Blutbäder anrichten. Die Zeiten sind vorbei, in denen die Weltbevölkerung erst Jahre später von Genoziden erfuhr und sie nicht vermag rechtzeitig zu intervenieren. Twitter und Facebook, aber auch WikiLeaks lassen die Weltgemeinschaft am Schrecken der Tyrannen teilhaben, in Echtzeit und ungeschminkt.
Dass diese Staaten selbst Mitglieder der UN sind, ändert wenig an der Beharrlichkeit autoritärer Regenten. Denn seit ihrer Gründung verpflichtet sich die UNO nationalen politischen und territorialen Interessen nicht zuwider zu handeln.
Jedoch geht eben diese Gründung auf ein Jahrzehnt des Zerstörens zurück, in dem sich Staaten überwiegend untereinander bekriegten. Die kürzlichen und immer noch anwährenden Auseinandersetzungen zeigen jedoch, Kriege werden heute innerhalb der Landesgrenzen geführt. Dass diese nicht den Weltfrieden bedrohen können, ist eine naive Haltung die widerspiegelt, dass sich die Staatengemeinschaft noch nicht den Herausforderungen der heutigen Zeit stellen möchte.
Nicht nur ausgelöste Flüchtlingswellen (siehe Italien und Liberia), sondern auch im Chaos des Geschehens getarnte Waffenhehlerei (wie jetzt im Fall von libyschen Waffen an Al-Kaida) bedrohen die Weltgemeinschaft in allen Winkel des Globus, ganz zu Schweigen von unzähligen Menschenrechtsverletzungen die fortan begangen werden.
Und eine Besserung der Lage ist nicht in Sicht. Der Sudan steht kurz nach seiner Aufspaltung vor einem Bürgerkrieg, ebenso nehmen Spannungen im Yemen und Irak innerhalb der Bevölkerung zu. Der Libanon sitzt auf einem Pulverfass und erwartet das Urteil des UN-Tribunals zum Hariri-Mord. Es brodelt vielerorts und die Vereinten Nationen haben darauf noch keine Antwort gefunden.
Dabei sind solche Konflikte durch die voranschreitende Globalisierung und wirtschaftlichen und finanziellen Verflechtungen nicht mehr national zu beschränken (siehe ivorischer Kakao und libysches Öl). Es sind zwar meist ethnische Spannungen, die zum Konflikt führen, doch die Weltgemeinschaft trifft es im Mark: es belastet den Welthandel. Steigende Preise sind das Ergebnis, welche wiederum zu weiteren Spannungen führen können, wenn sich beispielsweise indische Bauern das Saatgut nicht mehr leisten können. Die Welt ist zusammengewachsen.
Die UNO interveniert somit nur in Krisenherden in denen es bereits richtig geknallt hat. Die Gefahrenminderung für die Weltgemeinschaft muss jedoch schon wesentlich früher beginnen. Daran wird sie allerdings nicht nur durch ihre eigenen Statuten (die Wahrung der nationalen Souveränität) gehindert, sondern eben auch, weil die Staatengemeinschaft eine Staatengemeinschaft ist. Soll heißen, auch im Sinne des Weltfriedens vertritt jedes Mitglied eigene Interessen. Nicht anders können zum Beispiel die Enthaltungen bei der Resolution 1973 zur Intervention in Libyen, auch auf deutscher Seite, erklärt werden. Solch Interessen sind, wie sollte es auch anders sein, meist wirtschaftlicher Natur. Die Perfidie dieser Tatsache muss wohl nicht erläutert werden.

Umbau erforderlich

Was es also braucht ist einen Sinneswandel auf der einen Seite . Die Welt tickt heute anders als nach dem Zweiten Weltkrieg und niemand kann es sich erlauben, losgelöst vom Rest der Welt vor sich herzuwerkeln. Zum Anderen ist eine Modernisierung der UNO von Nöten. Die Statuten müssen erlauben, auch in nationalen Konflikten frühzeitig eingreifen zu können, nicht erst wenn Al-Jazeera von Leichenbergen auf den Straßen berichtet. Denn auch wenn Völker innerhalb der eigenen Grenzen aufeinander losgehen, so ändert das nichts am Ziel der UN, die „[...] Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle [...]“ zu fördern. Außerdem müssen die Vertreter der Mitgliedstaaten unabhängiger von ihren heimischen Regierungen und deren Wahlversprechen entscheiden dürfen. Zwar ist die Rückendeckung der Vertreter durch ihre Regierung unabdingbar, dennoch sollte das internationales Interesse am Weltfrieden über wirtschaftlichen Belangen oder Klüngeleien einzelner Staaten stehen.
Eine Restrukturierung der UNO steht bereits seit Langem auf der Agenda, doch es zeigt sich, dass, ebenso wie bei Post-Kyoto oder der Finanzkrise, die Staatengemeinschaft sehr behäbig Entscheidungen trifft. Die unmittelbare Gefährdung von Menschenleben sollten sie aber zur Eile ermahnen.
Und vielleicht bietet gerade dieses Projekt, einem unbeliebten und erfolglosen Außenminister die Chance, sich trotz aller Zweifel zu profilieren. Das ist jedoch ein ganz anderes Thema.