Sonntag, 19. September 2010

Sarrazin-Ausschlussverfahren straft Gabriel als Täuscher

Mittlerweile hat die Debatte um Thilo Sarrazin und seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ an Temperament verloren. Zumindest in der Öffentlichkeit. In der SPD werkelt die Parteispitze fleißig daran, dessen Ausschluss voranzubringen und nicht scheitern zu lassen. Dass dies aber mitunter sogar sehr wahrscheinlich ist, zeigt auf was für dünnem Eis sich der Parteivorstand bewegt.
Bereits im März diesen Jahres musste die Berliner SPD eingestehen, dass sie mit ihrem Parteiordnungsverfahren gegen den damaligen Bundesbankvorstand wegen dessen Äußerungen in der Kulturzeitschrift „Lettre International“ gescheitert ist. Sarrazin habe mit der damaligen „Kopftuchmädchen“-Debatte keine Grundsätze der Partei verletzt.
Dass er dies nun nachweislich insbesondere mit seiner Aussage „Alle Juden teilen ein bestimmtes Gen.“ tut, ist zweifelhaft. Dies gilt hauptsächlich weil der promovierte Doktor der Wirtschaftswissenschaften seine Aussagen schnellstmöglich als „Riesenunfug“ und „Blackout“ revidierte.
Und genau zwischen diesen beiden Statements ist Gabriel mit seinem Anstoß geprescht ein Parteiordnungsverfahren gegen Sarrazin einzuleiten. Der Parteivorsitzende ist dafür bekannt, sein Gesicht in jede Kamera halten zu müssen und sich gegenüber jedwedem Sachverhalt zu positionieren. Mit diesem Verhalten eckt er vor allem in der Partei des Öfteren an. Und genau in jenem Fall könnte ihm sein Profilierungsgehabe zum Schaden gereichen.
Sollte der SPD-Vorstand dem Verfahren nicht entsprechen, wäre der Schaden nicht nur für Gabriel, sondern der gesamten SPD immens. Dieses Risiko ging Gabriel leichtfertig ein ohne auf die Stimmung in der Bevölkerung und im wesentlichen der eigenen Partei zu hören.
Erst kürzlich begann Gabriel mit seiner Idee zu werben, den Kanzlerkandidaten (also hoffentlich ihn) durch eine Vorwahl, an der sich auch Nicht-SPD-Mitglieder beteiligen dürfen, bestimmen zu lassen. Dieser Vorstoß geht einher mit seinem Bestreben, die Partei von innen heraus zu erneuern, basisdemokratischer zu gestalten und wieder vermehrt auf die Stimmen aus dem Volke zu hören.
Mit dem angestoßenem Ausschlussverfahren tut er genau dies nicht. Nicht nur SPD-Urgestein wie Steinbrück und Struck lehnen einen Ausschluss ab. Auch die Basis läuft Sturm und bombardiert die Parteispitze mit Anrufen, Emails und Briefen. Ihre Befürchtung ist klar: der Ausschluss verhindert eine konstruktive Integrationsdebatte und stellt Sarrazin als Märtyrer dar. Auch die SDP-Wähler sehen das so. Lediglich 43% können sich einen Ausschluss vorstellen. In der Bevölkerung sind es sogar nur 34%.
Folgerichtig hat Gabriels Vorstoß der Partei auch binnen einer Woche 2 Prozentpunkte an Stimmen gekostet (Umfrage „Stern“ und „RTL“).
Das Verhalten des obersten SPD-Mitglieds lässt also alles andere als Partei-erneuernd anmuten. Der von Gabriel ausgegebene Leitsatz war eine Luftnummer. Es scheint, als wolle er lediglich seinen Bekanntheitsgrad erhöhen indem er zu jedem Thema Position bezieht um davon anschließend in der Wahl zum Kanzlerkandidaten zu profitieren. Seine Hoffnung ist, so lässt es vermuten, dass sich der Wähler dann nicht mehr an Inhalte erinnert. Nur wird diese höchstwahrscheinlich nicht aufgehen, da sich dem Ausschlussverfahren eventuell in eine lang andauernde juristischen Schlammschlacht anschließen wird.

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