Montag, 5. Dezember 2011

Jetzt schlägt’s 13! Der Euro naht der Implosion.

Es ist ein Trauerspiel. Ein europäisches Jahrhundertprojekt steht dem Scheitern so nah, dass die Alarmsirenen in den Hauptstädten anschlagen sollten, bis sie niemand mehr überhört. Größtenteils tun sie das auch. Nur Berlin ist taub. Nur Merkel und Schäuble sträuben sich vehement gegen ein rigoroses Durchgreifen – aus Angst vor dem Parlament, als Getriebene der Investoren und als Ahnen einer konservativen Notenbankpolitik. Dabei ist die Zeit für Prokrastination und Taktieren vorüber. Die Märkte und die Menschen (ausgenommen den krisenresistenten Deutschen) warten auf einen Durchbruch, sonst droht der Zusammenbruch.
Ökonomen gehen bereits von einer Ausfallwahrscheinlichkeit der gesamten Euro-Zone von 30 Prozent aus. Einige Analysten schwarzmalen sogar 70 Prozent. Jedwede Rettungsaktion scheint die Implosion lediglich aufzuschieben. Die Ratings der 4 Loser, Griechenland, Portugal, Spanien und Italien (PIGS-Staaten) befinden sich dort, wo die Zinsen deutscher Anleihen ausharren: im Keller. (Ausgenommen Irland, was sich dank seiner starken Exporte wieder berappelt.) Diese Staaten sind, auch wenn sie sich noch teilweise am Finanzmarkt kapitalisieren können, allein durch ihre Zinslast nicht refinanzierungstauglich.
Die Briten nennen es Bazooka, ich nenne es Entschlossenheit. Bisweilen fehlt die Erkenntnis über die Ernsthaftigkeit der Lage. Wir brauchen schnellsten eine Feuerbekämpfung, welche auch das letzten Schwelen erdrückt. Dazu müssen die PIGS vorerst vom Anleihemarkt genommen werden, um die untragbare Zinslast abzuwenden und den nötigen finanziellen Spielraum zu schaffen, der für die Ankurbelung der Wirtschaft notwendig ist (also zeitweilig die Euro-Zone von 17 Euro-Staaten auf 13 schrumpfen). Denn durch die Geizerei hat sich die Schuldenlast im Gegensatz zur Konjunktur, nicht merklich verringert. Ohne Zweifel ist für den Fortbestand der Euro-Zone eine Harmonisierung der Volkswirtschaften obligatorisch. Ich bezweifle jedoch, dass Merkel die Bundesrepublik auf das Niveau der Krisenstaaten herunterwirtschaften möchte. Sie dürfen im Spardiktat nicht darnieder gedrückt werden, sondern müssen gleichziehen – auf deutschen Niveau (angeblicher ökonomisch germanischer Imperialismus hin oder her).
Da hilft es auch nicht, auf deutsche Befindlichkeiten in der Währungspolitik Rücksicht zu nehmen. Selbst Frankreich ziert sich vor dem Ausscheren aus Bundesbank-Präsident Jens Weidmanns Linie: kein EZB-Geld zur Schuldenfinanzierung einzelner Staaten. Zugegeben, das Mandat der EZB ist in dieser Hinsicht sehr restriktiv. Aber es wird wohl kaum jemanden geben, der lebendige Erinnerungen an die Hyperinflation der zwanziger Jahre hat und diese erneut fürchtet (welches das Hauptargument der Falken, also der Inflationsparanoiden ist). Schließlich kann sich die EZB ihr Mandat auch in die Haare schmieren, sollte es keinen Euro mehr geben.
Als nächster Schritt sind Euro-Bonds auf den Weg zu bringen. Ressentiments sind fehl am Platze. Es gibt tragfähige Modelle, die die Bedenken der Bundesregierung ausräumen. Eines habe ich bereits im Spätsommer vorgeschlagen. Nur so lässt sich verhindern, dass die EZB den Liquiditätsbedarf einzig und allein durch die Notendruckereien deckt. Ihr, der ESFS oder welcher Institution auch immer, muss der Zugang zum Markt offen bleiben. Dies gilt auch, wenn das Interesse der exoeuropäischen Investoren an Euro-Schuldtitel bisweilen geschrumpft ist. Die maue Nachfrage nach deutschen Anleihen hat letztlich nichts mit der Risikoaversion derer zu tun, sondern dass diese das Vertrauen in die gesamte Euro-Zone verloren haben und Bundesanleihen nur mickrige Zinsen abwerfen.
Schlussendlich sind Euro-Bonds und die Öffnung der Schotten für Zentralbankkapital jedoch nur die Feuerwehr. Dagegen ist das Verhalten der deutschen Regierung ein Brandbeschleuniger. Dabei steht das Fundament bereits lichterloh in Flammen. Sollte die Euro-Zone kollabieren, ist nicht nur ein europäischer Traum gescheitert - was auch ich persönlich als höchst bedauerlich empfinde -, es droht eine globale Rezession und die Bedeutungslosigkeit Europas, wirtschaftlich und politisch. Die deutsche Volkswirtschaft würde die langfristigen Kosten einer Wiedereinführung der D-Mark nicht tragen können: eine ungeheure Aufwertung ist unumgänglich, die Stütze der deutschen Wirtschaft, der Export, dürfte einbrechen, Massenarbeitslosigkeit, Neonationalismus und das Ende der europäischen Integration - wir befänden uns erneut in einer pre-Maastricht-Epoche.
Um das brennende Euro-Haus also nicht nur zu löschen, sondern auf solidere Grundfesten zu stellen, ist eine langfristige Vision von Nöten, die politischen Mut und das Bekenntnis zu mehr Integration, wirtschaftlicher Koordination und haushaltspolitischer Macht der EU-Kommission erfordert, sowie der streikenden Bevölkerung die Legitimität Brüssels verdeutlicht und das Streben nach den USE (United States of Europe) zu einer gemeinsamen europäischen Sache werden lässt.
Europa und der Euro sind zu wertvoll, um sie Merkels Unmut und Zaghaftigkeit zu opfern! Wir brauchen eine Explosion politischen Verantwortungsbewusstseins, andernfalls erleben wir die Implosion der Euro-Zone.

Donnerstag, 10. November 2011

Noch 18 Tage um die Welt zu retten – Klimaverhandlungen drohen erneut zu scheitern

Nein, es ist nicht Griechenland, das droht die Welt in den Abgrund zu reißen. Dieses Mal nicht. Es ist eine wesentlich existenziellere Bedrohung: die des Planeten. Denn die Vereinten Nationen sind weiterhin Meilen davon entfernt, sich auf ein Post-Kyoto-Protokoll zu einigen. Das sollte ursprünglich mit dem Auslaufen des bestehenden Abkommens 2012 ratifiziert werden. Doch die bis dahin letztmalig tagende UN-Klimakonferenz verspricht wenig Verheißungsvolles.
In 18 Tagen, am 28. November treffen sich die Vertreter der 193 Mitgliedsstaaten in Durban, Südafrika um erneut um die Zukunft der Erde zu feilschen. Die Chancen das Ruder nach der langen Serie ergebnisloser Konferenzen doch noch herumzureißen stehen jedoch äußerst schlecht.
Seit 2005 (Nairobi) einigte sich die Staatengemeinschaft lediglich auf die Einrichtung eines Fonds zur Unterstützung afrikanischer Staaten, die Erderwärmung auf 2 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Niveau zu begrenzen (2009, Kopenhagen) und das Kyoto-Protokoll weiterhin bis 2012 umzusetzen (2010, Cancun). Die Bilanz ist mager. Noch dazu hat der weltweit größte Klimasünder, die USA, das Protokoll bislang lediglich zur Kenntnis genommen.
Großartig. Selbst das 2 Grad Celsius-Ziel scheint zum Scheitern verurteilt. Denn der Energieverbrauch steigt weltweit kontinuierlich rasant an. So hat die Internationale Energieagentur (IEA) in ihrer jüngsten Studie berechnet, dass der Energiekonsum bis 2035 um ein zusätzliches Drittel steigen wird. Und wer trägt die Schuld daran? In erster Linie vornehmlich die Schwellenländer. Doch dieser Schluss ist zu kurz gedacht.
Die Industriestaaten sind in der Verantwortung den aufsteigenden Ländern die wirtschaftliche Weiterentwicklung zu ermöglichen, jedoch nicht auf Kosten des Planeten. Energiefonds, CO2-Ausgleichsmodelle, Innovationshilfe usw. – alles bereits ersonnen. Und doch nicht umgesetzt. Inmitten der gegenwärtigen wirtschaftlichen Krise haben die Regierungen auch durchaus andere Verpflichtungen. Um das Klima zu retten braucht es aber nicht Merkel und Sarkozy am Verhandlungstisch, sondern Experten und Diplomaten. Und just in diesen schweren Zeiten wirft eine Studie der Umweltverbände der deutschen Regierung vor, zu nachlässig CO2-Zertifikate verteilt zu haben und somit zum Anstieg der Emissionen beizutragen. Denn der im Kyoto-Protokoll angedachte Emissionshandel folgt der Logik, dass Unternehmen zukünftig für Emissionseinsparungen belohnt werden, da sie für Verschmutzungsrechte bezahlen müssen. Nur doof, wenn sie diese kostenlos vom Staat zugeteilt bekommen und sie gewinnbringend veräußern können. Zum Wohle der Wettbewerbsfähigkeit, heißt es.
Wettbewerbsfähigkeit? Spielt Wettbewerbsfähigkeit eine Rolle beim Schutz der Natur? Schließlich geht es auch hier um den Erhalt unserer Erde für die nachfolgenden Generationen. Dieses Ansinnen, welches momentan so wenig zählt, war allerdings jüngst das Hauptargument für den plötzlichen Atomausstieg der schwarz-gelben Regierung. Dass dieser noch dazu von den Grünen unterstützt wird, einer Partei, die sich im Kern dem Wohle der Natur verschrieben hat, wird nun auch die als so fortschrittlichen Ambitionen der Deutschen ad absurdum führen. Denn der Atomausstieg hat bereits jetzt nachweislich die deutschen CO2-Emissionen ansteigen lassen.
Die Vorreiterrolle ist hin. Und damit auch die moralische Drohkulisse und eine Vision, mit der sich die Kleinstaaterei überwinden lässt. In der Konsequenz leidet die gesamte Weltbevölkerung – die Pole schmelzen, Wetterextreme nehmen zu, Missernten und Dürren treffen die Ärmsten. Allerdings ist es wenig gewinnbringend, den Regierungen allein diesen Missstand anzuheften und mit der Eigenverantwortung zu warten, bis der Kampf gegen die Erderwärmung durch die Parlamente legitimiert ist. Die Bevölkerung, insbesondere der entwickelten Welt, da sie über eine ausreichend gedeckte Lebensgrundlage verfügen, muss endlich selbst einen eigenen Klimaschutz lostreten und am besten bei sich zu Hause damit beginnen. Denn der Beitrag, den die Bevölkerung zu leisten vermag, ist größer als angenommen. In Deutschland verursachen beispielsweise Haushalte und Verkehr knapp 36 Prozent der CO2-Emissionen. Das Einsparpotenzial ist enorm.
Zum Schutze unseres Planeten genügt es nicht mehr, auf ein Beschluss der Vereinten Nationen zu warten. Die Länder selbst müssen die Initiative ergreifen und ihre Bürger zu umweltbewussten Weltverbesserern umerziehen. Nur so ist die Welt noch zu retten. Andernfalls ist der Kollaps der Eurozone das geringste, was uns bevorsteht.

Sonntag, 16. Oktober 2011

Obama spielt die Angstkarte - Iranischer Mordkomplott dient dem Wahlkampf

Die Verwirrungen um den Mordkomplott an den saudischen Botschafter in den USA könnten größer nicht sein. Der Iraner Manssor Arbabsiar, ein hoffnungslos erfolgloser Autoverkäufer in Texas, soll auf Kommando der berüchtigten Kuds-Brigaden mexikanische Drogenbarone beauftragt haben, den Botschafter Adel A. Al-Jubeir umzubringen. Glücklicherweise ist er dabei den Fahndern der amerikanischen Drogenpolizei ins Netz gegangen. Prompt war die Rede von Staatsterrorismus, denn kein anderer als die iranische Führung selbst soll den Auftrag erteilt haben. Die ist sichtlich darum bemüht jegliche Zusammenhänge abzustreiten und den Spieß umzudrehen. Der Einschätzung der amerikanischen Regierung schließen sich jedoch anerkannte Kenner der iranischen Politik nicht an. Denn auffallend sind die Ungereimtheiten der Tat. Sie sei viel zu stümperhaft geplant und durchgeführt worden. Auch der Mittelsmann sei eine denkbar falsche Wahl gewesen. Und einleuchtende Motive fehlen ebenso. Die Granden der iranischen Revolution, allen voran Chamenei, sind in der Vergangenheit nicht damit aufgefallen Außenpolitik auf den Boden anderer Nationen zu betreiben.
Drum gibt es mittlerweile so mancherlei Theorien, die versuchen das Unerklärliche zu erklären. Ziel der Mission war anscheinend nicht die Tötung des saudischen Botschafters, zumindest nicht unmittelbar, sondern die Schwächung Ahmadinedschads innerhalbd des Irans. So vermuten es so manche Experten. Der Revolutionsführer Chomenei ist seit der zweiten Amtszeit von Präsident Ahmadinedschad, seinem eigentlichen Ziehsohn, äußerst verärgert über seine Regierungsarbeit. Dieser hatte unter anderem versucht, das Kabinett umzubauen und einiger der Minister loszuwerden, die unter Chomeneis Gnade standen. Es kam, für iranischer Verhältnisse, offen zum Bruch. Und nun, so eine mögliche Erklärung, soll der Präsident als unhaltbar denunziert werden.
Denkbar wäre aber auch der umgekehrte Weg. Ahmadinedschad will Chomenei absäbeln. Es entwickelt sich somit zum Selbstläufer und entzieht sich amerikanischer Außenpolitik. Und doch trommelt Barack Obama lautstark die Terrorpauken. Ein Angriff auf Vertreter ausländischer Staaten, noch dazu dem wichtigsten Verbündeten in der Golfregion, auf amerikanischem Boden sei eine Kriegserklärung. Auffallend schnell und direkt waren die Täter öffentlich an den Pranger gestellt und es wurde mit Konsequenzen bis zum allerletzten Mittel gedroht. Zu schnell. Und so drängt sich einem der Schluss auf, Obama will seinem Image als Vollstrecker der amerikanischen Sache gerecht werden, das ihm seit der Exekution von Osama bin Laden anhaftet. Denn es brachte ihm wertvollen Zuspruch vom Wahlvolk, etwas, das ihm nach seiner Yes, we can-Kampagne so schnell abhanden kam wie die politische Durchsetzungskraft in Senat und Kongress.
Die Demokraten haben sich, im Gegenteil zu den Republikaner, sehr bedeckt im Vorwahlkampf gehalten. Denn zum einen fehlen große Erfolge auf die verwiesen werden kann. Und zum anderen verspricht die Zukunft nichts Gutes. Die amerikanische Politik ist momentan ein Fiasko, überparteilicher Konsens Fehlanzeige, eine fortschrittliche Vision nicht vorhanden, die politische Agenda ein Flickenteppich. Die Demokraten sind schlau genug, die Misserfolge nicht Obama in die Schuhe zu schieben und einen neuen Kandidaten zu suchen. Das wäre unglaubwürdig. Doch der Fall um Arbabsiar scheint eine willkommende Gelegenheit endlich in den Wahlkampf einzusteigen und sich auf ein Thema einzuschießen, mit dem auch schon George W. Bush Erfolg hatte: die Angst vor dem unsichtbaren Feind und Terrorismus auf amerikanischem Boden.
Und die Amerikaner zeigen sich für solche Themen überaus dankbar. Sie lassen sich gerne von einer diffusen Bedrohung einschüchtern und verängstigen. Sie brauchen einen starken Mann, der kompromisslos für ihre Sicherheit bürgt. Und sie sehnen sich nach einem Beschützer der auch vor einem Angriff auf den Iran nicht zurückschreckt. Mit Krieg lassen sich die Parteigrenzen überwinden. Mit Terror kann der Stillstand beendet werden. Und mit ängstlichen Bürgern kann man leicht Wahlkampf treiben. Darauf setzt Obama jetzt. Denn andere Themen sind schwerlich geeignet um die Mehrzahl der Stimmen zu bekommen.
Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis auf dem Zwischenfall Konsequenzen folgen werden. Weitere Sanktionen gegen den Iran sind bereits beschlossen. Ein militärisches Einschreiten ist zwar gänzlich abwegig, würde aber anbetracht der Vergangenheit nicht überraschen.
Obama hat seinen Zauber verloren. Die Jungen, Einwanderer, von der Finanzkrise gebeutelte, Umweltaktivisten, Senioren, Veteranen, sie alle mussten mit ansehen, wie ihre Hoffnungen in den Mühlen des Kongresses zerrieben wurden. Doch der Patriotismus eint alle Amerikaner und so kann Obama darauf setzen, sie mittels angsteinflößender Bedrohungen wieder einzufangen. Es ist schade, dass er sich somit in die Reihe der Präsidenten fügt, die sich über die Gefährdung der amerikanischen Souveränität positionieren anstatt weiterhin erbittert für seine Wahlversprechen zu kämpfen und sie mehr denn je durchzusetzen zu versuchen. Andererseits veranlassen ihn die Mehrheitsverhältnisse in Senat und Kongress auch, sein Unvermögen sich nicht durchsetzen zu können, einzugestehen anstatt weiterhin auf Luftschlösser zu setzen.
Die Aufklärung des Mordkomplotts ist dabei nachrangig. Vielmehr war sie ein willkommener Anlass um nun auch thematisch in den Wahlkampf einzusteigen. Und desillusioniert werden Obamas Wähler erneut ihre Stimme für ihn abgeben, aus Angst vor dem Terror.

Dienstag, 16. August 2011

Die Eurobonds sollen kommen – Ein Vorschlag

Die Diskussionen um Eurobonds, also gemeinschaftlich begangene Anleihen der Eurozone, werden neuerdings hitziger. Ganz Europa ist in die Idee gemeinsamer Schulden verliebt, noch dazu mit der Mitgift niedriger Zinsen. Nur die Bundesregierung sträubt sich noch mit allen Mitteln, schließlich müssen Investoren im Moment sogar für das Halten von Bundesanleihen drauf zahlen, rechnet man die Inflation mit.
Und die Kritik ist nachvollziehbar:
a) Keine Anreize zum Sparen: Dadurch, dass sich Staaten, unabhängig ihrer individuellen wirtschaftlichen Rahmendaten zu einem Zinssatz verschulden können, der die Bonität der gesamten Eurozone widerspiegelt, müssen sie nicht für die Risiken die mit einer hohen Staatsverschuldung einhergehen, bezahlen. Dies ist üblicherweise der Fall, da Investoren das erhöhte Risiko in einem höheren Zinssatz einpreisen.
b) Geringes Kapitalpolster: Die EFSF (Europäische Finanzstabilisierungsfazilität) ist nicht in der Lage, sollte es zu einem Zahlungsausfall mehrerer Schuldnerstaaten gleichzeitig kommen, die Forderungen der Gläubiger zu bedienen. Mit einem finanziellen Polster von 440 Milliarden Euro und den bereits vergebenen Krediten an Griechenland und Co., ist der Spielraum äußerst gering.
c) Hohe Kosten: Staaten, deren individueller Zinssatz unterhalb dem Eurobond-Zinsen liegt, müssen theoretisch draufzahlen, um die höheren Finanzierungskosten anderer Staaten zu subventionieren.
Diese Nachteile ergeben sich aus dem bisher angedachten Konstrukt für die Eurobonds. Das gegenwärtige Konzept sieht vor, dass sich Staaten zu 60 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts über Eurobonds und dem damit verbundenen Zinssätzen verschulden können. Dies entspräche dem Euro-Stabilitätspakt. Alle weiteren Schulden werden, wie bisher gehandhabt, selbst begangen und finanziert, überschreiten jedoch die Maastricht-Grenze.
Um der Kritik zu begegnen schlage ich eine Anpassung dieses Konzepts vor: Der Vorteil der Eurobonds, nämlich die geringen Finanzierungskosten für die Gemeinschaft, soll erhalten bleiben. Diese beruhen auf der Absicherung der EFSF gegen ein Ausfallrisiko der Schuldner. Da die EFSF weiterhin auf Anfrage des Schuldnerstaats Bonds ausgibt ist dies weiterhin gewährleistet. Ferner, soll auch für diese Bonds der Gemeinschaftszins gelten. Dieser wird, wie bei gewöhnlichen Staatsanleihen vom Markt bestimmt und ist durch die verlangte Risikoprämie der Investoren determiniert.
Der Unterschied zum bisherigen Modell besteht darin, dass der Schuldnerstaat jedoch auch für die von ihm initiierten Eurobonds einen Individualzins bezahlen muss, und zwar an die EFSF. Dieser wird direkt von eben solcher ermittelt und beruht auf wirtschaftlichen Fundamentaldaten, wie Gesamtverschuldung, Produktivität, Wirtschaftswachstum und Bonität. Eventuell ist eine Orientierung an den Kreditratings ebenfalls sinnvoll. Da für die meisten Staaten gilt, dass ihre Zinslast die der Eurobonds übersteigt, kommt es zu einem Überschuss. Die Differenz soll in zwei Fonds fließen. Der Krisenfonds soll für etwaige zukünftige Zahlungsschwierigkeiten einzelner Staaten zur Verfügung stehen und die Kapitaldecke der EFSF aufstocken. Ein Überschussfonds dient den Staaten, deren Finanzierungskosten unterhalb des Eurozinssatzes liegen. Da deren Zahlung wiederum um die Differenz zum Gemeinschaftszins aufgestockt werden müssen.
Auf Dauer wird jedoch angenommen, dass die mit der Einführung von Eurobonds notwendige wirtschaftliche Integration der Eurozone zu einem angleichen der individuellen Zinssätze führen wird. Die sogenannte Fiskalunion wird also auf lange Sicht den Kritikern ihre Munition nehmen.


Die Verschuldung über die Maastricht-Grenze hinaus wird weiterhin wie gewohnt direkt über den Markt gehandhabt. Sollten im Zuge engerer wirtschaftlicher Abstimmung auch andere Staaten, neben Deutschland, eine Schuldenbremse einführen, dürfte die Nettoneuverschuldung auf ein minimales Niveau sinken und innerhalb der Maastricht-Kriterien liegen.
Mit Hilfe dieses Modells lässt sich somit die hauptsächliche Kritik an Eurobonds begegnen und ein Anreiz zum langfristigen Sparen schaffen. Staaten mit solider Bonität müssen für andere Staaten keine zusätzlichen Finanzierungskosten in Kauf nehmen und die EFSF erhält genügend Kapital um zukünftigen Krisen ausreichend entgegenwirken zu können. Dabei bleiben die Vorteile der Eurobonds, niedrige Finanzierungskosten für den gesamten Euroraum, weiter erhalten und Europa wächst auch auf wirtschaftlicher Ebene näher zusammen. Nur auf diesem Wege ist ein stabiler Währungsraum langfristig gesichert und den Spekulationen endlich der Wind aus den Segeln genommen.

Montag, 15. August 2011

Showdown in Nahost – Angekündigte Unabhängigkeitserklärung der Palästinenser bringt Israel unter Zugzwang

Bis zum 20. September soll es soweit sein: Mahmud Abbas, Präsident der palästinensischen Autonomiebehörde, wird die Aufnahme Palästinas als unabhängigen Staat in die Uno Vollversammlung beantragen. Der genaue Termin ist noch unklar. Fest steht allerdings, dass, solang der Libanon den Vorsitz der Vollversammlung innehat, der Antrag vor der Sitzung der Generalversammlung am 20. September eingebracht werden soll.
Sicherlich, ein Erfolg Abbas ist ausgeschlossen. Die USA haben mit ihrem Stimmgewicht, im Einvernehmen mit Israel, einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung fernab des Verhandlungstischs eine Absage erteilt. Und Israel macht keinen Hehl daraus, hinter sich eine Koalition von 50 bis 70 Staaten zu scharen, die dem Entwurf ebenfalls ablehnen werden. Ob dieses Ziel aber erreicht wird, ist nach einer Reihe von Solidaritätsbekunden für die palästinensische Sache, insbesondere von Staaten Lateinamerikas und Afrikas, noch abzuwarten. Mit den USA in der Hinterhand, hat Netanjahu jedoch den Joker. Letztlich dürfte Palästina jedoch zu einem staatlichen Nichtmitglied erklärt werden, wofür eine einfache Mehrheit genügt und das es ihm erlaubt, Mitglied in allen UN-Organisationen zu werden.
An und für sich also ein unspektakuläres Prozedere. Doch mittlerweile laufen sich die Parteien warm, denn sie sind sich über die Symbolwirkung des Antrages wohl bewusst: Palästina soll aus dem Boden gestampft werden und verhandelt werden kann später. Dabei ist Abbas in einer durchaus komfortablen Lage. Er und seine Behörde können zusehen, wie Israel panisch versucht, die Symbolhaftigkeit zu zerstreuen und widersprüchliche Signale aussendet.
Avigdor Liebermann, Außenminister, erwartet blutige Ausschreitungen nach dem Scheitern des Antrags in der Generalversammlung. Vize-Premier Moshe Ya’alon rechnet bereits damit, den Palästinensern eine Lektion dafür erteilen zu können „die sie nie vergessen werden“. Auf der anderen Seite beschwichtigt Außenminister Ehud Barak. Er sieht keinerlei Gewaltausbrüche voraus und betont, eine militärische Aufrüstung sei nicht geplant. Die Fronten an den Grenzen zu Syrien, Libanon und dem Gaza-Streifen sind ohnehin jüngst aufgestockt worden. Gleiches gilt für die Polizeikräfte im Westjordanland. Und nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit baut Israel seine Grenzanlage zu Syrien mithilfe eines „Separationszauns“ in den Golanhöhen aus. Zusätzlich werden entlang der Demarkationslinie neue Landminen verlegt.
Also wird doch ein Ansturm von palästinensischen Flüchtlingen auf Israel erwartet? Und Israel wird sie gegen ein Heer von Soldaten und einem Zaun stürmen lassen. Sollten sie diesen überwunden haben, werden sie von den Minen in Stücke gerissen. Wer daraufhin den schwarzen Peter zugeschoben bekommt, liegt auf der Hand. So wie bereits geschehen, als Flüchtlinge im Mai und Juni über die Grenzen hinwegzuströmen versuchten und das Militär schlicht aus Ausweglosigkeit sich nicht anders zu behelfen wusste, als mit den Waffen.
Doch die Situation ist dieses Mal eine andere. Die damaligen Grenzstreitigkeiten wurden vermutlich vom syrischen Regime inszeniert, um von den immer noch anhaltenden Protesten der syrischen Opposition abzulenken. Dieses Mal ist es die palästinensische Autonomiebehörde, die ihre Bevölkerung instrumentalisiert. Denn es ist klar, Abbas wäscht seine Hände in Unschuld indem er sich auf die Grenzen von 1967 beruft und damit auf ein völkerrechtlich bindendes Abkommen. Dabei macht er sich das wahrscheinliche Aufbegehren der Palästinenser nach der vergeblichen Abstimmung im Sicherheitsrat zunutze: dadurch, dass das Militär keine andere Wahl hat, außer die einströmenden Massen zurückzudrängen, kann sich Abbas auf die Gewaltbereitschaft der Israelis berufen. Damit ist Abbas weiterhin in der Lage, die kritischen Stimmen über Israels Politik zu vermehren und es unter Zugzwang in den Friedensverhandlungen zu bringen.
Zweifelsohne scheint das die Taktik der Autonomiebehörde zu sein. Und bisweilen ist sie erfolgreich. Ressentiments gegenüber dem jüdischen Staat nehmen weltweit zu, manchmal auch nicht von Antisemitismus zu unterscheiden. Beide jedoch gleichzusetzen, wie viele israelische Politiker es der Einfachheit halber pflegen, ist schlicht falsch. Vorfälle wie die Menschenrechtsverletzungen im Gaza-Krieg 2008/2009, die Erstürmung der vermeidlichen Hilfsflotte für den Gaza-Streifen oder die besagte Erschießung grenzüberschreitender Flüchtlinge erhöhen den Druck der Weltgemeinschaft auf die israelischen Seite, in den Friedensverhandlungen mit den Palästinenser mehr Zugeständnisse zu machen und quasi Reparationszahlungen zu leisten.
Auch bei einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung dürfte Abbas dieses Kalkül verfolgen und Israel als verhandlungsunwillig bezeichnen. Zugegeben, auch Israel schafft mit dem weitervoranschreitenden Siedlungsbau stetig neue Fakten. Doch wer die Frustration und Wut der Israelis bedingt durch hohe Immobilienpreise und Wohnungsmangel begreift, versteht den Handlungszwang der Regierung ein Stück weit.
Tatsächlich ist es jedoch die palästinensische Autonomiebehörde, die den Verhandlungstisch meidet. Mit dem Verfolgen einer aussichtslosen Unabhängigkeitserklärung braucht sie sich nicht im Friedensprozess zu engagieren und kann nach dem Scheitern bei vermeidlichen Ausschreitungen Israel der Schuld bezichtigen. Notleidende sind dabei die Palästinenser, die geopfert werden und gemeinsam mit ihnen die Israelis, die erneut um eine friedliche Lösung gebracht werden. Israel muss, trotz der Unabhängigkeitsbestrebungen, wieder konstruktiv in die Verhandlungen einsteigen. Und die Palästinenser sollen endlich ihre Opferrolle ablegen, in die sie sich selbst navigieren. Nur wenn beide Seiten sich auf friedliche Verhandlungen einlassen, ohne kontinuierlich Fakten zu schaffen, besteht der Hauch einer Hoffnung, dass dieser elendige Konflikt endgültig aus der Welt geräumt werden kann.

Sonntag, 10. Juli 2011

Syrien - Die Weltgemeinschaft muss endlich handeln

Seit Monaten liefert sich die außerparlamentarische Opposition der Tyrannei des syrischen Regime aus. Anders kann man die Situation auch nicht bezeichnen. Sobald die Menschen auf die Straße gehen werden sie vom Militär und den Garden niedergeknüppelt, verschleppt und gefoltert - auf Befehl. Bis auf brennenden Barrikaden aus Reifen und ein paar Steinewerfern stoßen sie nur geringfügig auf Gegenwehr. Bei laufenden Handykameras werden die Demonstranten niedergeschossen, niedergetreten und malträtiert. Augenzeugen berichten von furchtbaren Gräueltaten. So werden Krankenwagen unter Beschuss genommen, die Verletzte abtransportieren oder Festgenommene zu Tode gefoltert. Amnesty International bezeichnet die Vorgänge als menschenverachtend und ein Fall für den Internationalen Gerichtshof.
Wenn sich die internationale Staatengemeinschaft endlich durchringen könnte, das Vorgehen Syriens gegen die eigene Bevölkerung zu ahnden. Doch danach sieht es im Moment keineswegs aus. Weder die Vereinten Nationen, noch unabhängig von diesen, kann sich die internationale Gemeinschaft auf ein gemeinsames Vorgehen einigen. Nicht einmal auf eine gemeinsame Erklärung zu Verurteilung der Übergriffe kann sie sich einigen. Was für eine Schande. Und Verbrechen!
Seit Beginn der Demonstrationen sind nach Schätzungen von Menschenrechtlern mindestens 1740 Menschen ums Leben gekommen. Jeder Einzelne ist zu viel, wenn er um seine Freiheit kämpft! Die Frage drängt sich auf, wie viele Menschenleben der Staatengemeinschaft ein Eingreifen rechtfertigt?
Als der Sicherheitsrat sich Mitte März zu einer Flugverbotszone über Libyen aussprach, waren die Opferzahlen unter Despot Gaddafi weitestgehend unbekannt - die Schätzungen beliefen sich auf einige hundert bis tausend. Dazu kamen zehntausende Flüchtlinge und ausländische Arbeiter, die evakuiert werden mussten. Die Situation unterschied sich dennoch von Syrien. Es gab einen organisierten bewaffneten Wiederstand gegen Diktator Gaddafi, der den Westen demonstrativ aufforderte, dem systematischen Morden des Regimes ein Ende zu bereiten. Europa und Co. waren immer noch paralysiert von der Macht und Entschlossenheit arabischer Völker, die plötzlich gegen ihre eigenen Herrscher aufbegehrten. Die romantische Vorstellung einer nahezu gewaltfreien Revolution, unter anderem mit der blumigen Bezeichnung Jasminrevolution, wurde zerstört. Jetzt floss Blut. Und den Entwurf für die Resolution brachte die Arabische Liga selbst ein und wurde maßgeblich mithilfe von Frankreich durchgepeitscht. Noch dazu war Europa mit Libyen stark wirtschaftlich verflochten und ein unkontrollierter Bürgerkrieg hätte eine uneinschätzbare Liefersituation nach sich gezogen.
Nichtsdestotrotz, das menschliche Leid bedingt durch Machtinteressen der Regime vereint Libyen und Syrien. Letzteres wird durch die Weltgemeinschaft aber mit weniger Mitgefühl bedacht. Baschar al-Assad, seine Geheimdienste und der gesamte Machtapparat sind eine Katastrophe für die Menschen. Keine der scheinheiligen Begründungen legitimieren ein Weggucken. Das Verlangen auch die Statuten der UN, ungeachtet der Souveränität innerhalb der eigenen Landesgrenzen. Eine Modernisierung des Weltverbessererclubs und Anpassung der Statuten an die heutige Realität habe ich bereits in der Vergangenheit gefordert.
Warum also greifen die Alliierten nicht ein? Zuerst einmal haben die Syrier Pech, dass sie relativ spät begannen, sich gegen die eigene Diktatur zu Wehr zu setzen. Kriegsmaterial, Soldaten und Kapital sind bereits anderweitig gebunden. Die Parlamente weltweit können ihrer kriegsmüden Bevölkerung nur schwerlich einen weiteren bewaffneten Konflikt zumuten.
Zweitens sind mit dem Land wenig wirtschaftliche Interessen verbunden. Bis auf China, das ein Gros seiner Öllieferungen aus Syrien deckt, sind westliche Staaten wenig in der Exploration syrischer Rohstoffe engagiert.
Drittens ist auch China zusammen mit Russland ein Hauptgrund, warum eine Resolution im Weltsicherheitsrat keine Chance hat. Dass beide Länder es selbst nicht so ernst mit Menschenrechten innerhalb ihrer eigenen Grenzen nehmen, gibt ihnen bei weitem nicht das Recht, ihre Achtlosigkeit über ihre Grenzen hinauszutragen. Darüber hinaus fühlen sie sich brüskiert, wie die in Libyen beteiligten Staaten ihren durch die UN legitimierten Eingriff auslegen und aktiv zum Sturz Gaddafis beitragen. Dabei ist eine politische Einmischung strengstens untersagt. Waffenlieferungen und geheime Verhandlungen mit den Aufständischen tragen ihr Übriges bei. Somit sind die westlichen Staaten teilweise selbst dafür verantwortlich, dass ihnen kein Vertrauen für eine weitere Resolution entgegengebracht wird. Und trotzdem, dass zwei Staaten die Weltgemeinschaft daran hindern können, Leben zu schützen ist ein Unding! Einmal mehr zeigt sich, dass eine Reform der UNO unabdingbar ist.
Auch wenn China und Russland übergangen werden könnten, einig sind sich die übrigen Staaten weiterhin nicht. Israel schätzt Syrien als zwar feindlich gesinnten, aber dennoch wünschenswerten Nachbarn ein, der für Stabilität sorgt. Insgeheim mag der Westen auch noch hoffen, dass der anfangs als Reformer begrüßte Baschar al-Assad sich nicht völlig der Tyrannei verschrieben hat, nur ein getriebener seiner Sippschaft und Geheimdienste ist und sich eines Tages doch noch mit seinem Reformkurs durchzusetzen vermag.
Viertes war Libyen nach der Abkehr der Arabischen Liga außenpolitisch vollends isoliert. Syrien ist über die Hisbollah allerdings eng mit dem Libanon verflochten und erfährt auf der anderen Seite Unterstützung aus dem Iran. Die Revolutionsgarden des Iran sollen gar selbst in das Geschehen auf syrischen Boden eingegriffen haben, beratend und prügelnd. Ein Militärschlag gegen Assad würde, so ist zu vermuten, eine große Schar Terroristen auf den Plan rufen und eine großangelegte Offensive mitsichbringen. Es droht eine komplette Destabilisierung des Nahen und Mittleren Ostens.
Fünftens Flüchtlinge. Europa sah sich durch den Konflikt in Libyen einer enormen Flüchtlingswelle ausgesetzt. Wenig versetzt die Europäer in größere Panik. Der Flüchtlingsstrom aus Syrien hält sich hingegen in Grenzen und die Türkei hat sich bereitwillig erklärt, jene solche großzügig aufzunehmen - wenn auch nur zeitweilig.
Und sechstens fehlt es den westlichen Nationen an jeglichen Alternativen. Libyen hat einen Übergangsrat. Und Syrien? Der lang etablierte Familienclan der Assads würde ein Machtvakuum nach dessen Abgang hinterlassen, das mitunter von weit schlimmeren Kräften gefüllt würde - vorausgesetzt es gelänge, das Regime zu stürzen. Nach den unerwartet zermürbenden Kämpfen in Libyen stünde eventuell ein drittes Afghanistan vor der Tür. Der Ausgang einer Intervention wäre so ungewiss, dass selbst Draufgänger Sarkozy sich nicht zumutet einen solchen in Erwägung zu ziehen.
Unter all dem muss die syrische Bevölkerung leiden. Eine Befriedung der Massen scheint mangels ernsthafter Reformbemühungen des Regimes nicht in Sicht. Und weil sich die Staatengemeinschaft nicht über ihre Differenzen einigen kann, sterben jeden Tag Menschen. Das Zögern muss endlich ein Ende haben, sonst droht der Menschheit einmal mehr eine humanitäre Tragödie von unnötigen und schrecklichen Ausmaßen. Wenn der Weltsicherheitsrat sich nicht durchringen kann, müssen die Staaten, die beherzt zu einem Eingriff bereit sind, unabhängig intervenieren. So wie einst die USA nahezu im Alleingang den Kampf gegen den Terrorismus in die Welt hinaus trugen, können einzelne Staaten mit einer weitaus legitimieren Agenda den Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen aufnehmen. Sie wären es der Menschheit schuldig. Und auch den Opfern des syrischen Regimes.

Dienstag, 17. Mai 2011

Getrenntes vereinigtes Europa

Die Union zerfällt wegen nationalistischer Kleindenkerei

Es ist ein Trauerspiel – leider nicht nach griechischer Tradition, denn die hat nur eine Hauptszene oder ließe sich vielleicht mit Euromilliarden zum glücklichen Ende geleiten. Vielmehr reihen sich die Akte aneinander wie bei Fluch der Karibik.
Die Europäische Union erlebt in ihrer jungen Geschichte ihre tiefste Sinneskrise, deren Risse bereits tief bis nach Brüssel und Straßburg hineinreichen. Die jüngsten Ereignisse scheinen sich zu überschlagen, im Gleichschritt mit nationalistischen Gedanken- und Machtspielen. Ganz groß: die PIIGS (Portugal, Italien, Irland, Griechenland und Spanien. Belgien sollte ebenfalls dazugehören), mit ihren finanziellen Notständen. Rettungspaket um Rettungspaket wird geschnürt und die EU entgegen inbrünstiger Behauptungen zu einer Transferunion. Es gilt den Kollaps in der Eurozone abzuwenden. Und dennoch ziehen nicht alle am selben Strang zur Bekämpfung der größten Liquiditätskrise Europas. Vorneweg: Finnland und Tschechien. Irland auch, aber seitdem es ebenfalls am Eurotropf hängt, ist es zahmer geworden.
Ein Blick auf die Karte zeigt, das Gros der Mitgliedsstaaten wird von konservativen Regierungen vertreten. Deren Klientelpolitik beschränkt sich häufig nicht nur auf die bürgerliche Mitte, sondern macht meistens auch an den Landesgrenzen halt.



Ein europäisches Leitbild muss her, um jene Regierungen in einer Vision zu vereinen, wie es der damalige Traum vom Frieden vermochte. Dessen wohl schönste Frucht ist Schengen. Die Idee ist großartig und für die meisten Europäer eines der einschlägigsten Argumente für die EU. Seit Italiens hingeworfenem Diplomatenhandschuh vor die Füße Frankreichs steht das Abkommen in seiner jetzigen Form zur Disposition. Und Dänemark setzt einen Drauf, wenngleich aus anderem Kalkül. Nämlich wieder einmal Innenpolitik. Die sollte mitnichten etwas mit den übrigen 496 Millionen EU-Bürgern zu tun haben. Eine Wahl haben sie selbstverständlich nicht.
Teilweise zumindest. Die europäischen Parlamentswahlen erfreuen sich reger Nichtbeteiligung. Lediglich 43% folgten dem Ruf an die Urne 2009. Ein Armutszeugnis für die bürgerliche Anteilnahme. Wen wundert es also, dass so gut wie niemand den Parlamentspräsidenten Jerzy Buzek (Pole) kennt. Wie sollte man auch? Das Kompetenzgerangel innerhalb der EU überschattet die politische Arbeit. Catherine Ashton ist nicht nur blasser als John Doe (der englische Max Mustermann). Die lautstarken Unmutsbekundungen um ihre Person spitzen sich stetig zu einer offenen Rebellion zu. To be continued: Herman Van Rompuy.
Personalrochaden beschäftigen auch Staatenlenker. Der bevorstehende Abgang von EZB-Chef Jean-Claude Trichet löste einmal wieder Grabenkämpfe aus. Mario Draghi, just Nachfolger in spe, löste bei der Kanzlerin die German Angst aus, bis sie, aus Mangel an Alternativen, einknickte. Damit nicht genug. Gekämpft wird munter um ESFS, ESA, EIOPA, EBA, ESMA und ESRB*. Alles Neukreationen um die Finanzstabilität in Europa wiederherzustellen und zu wahren. Das ausgegebene Motto: die eigenen Landsfrauen und –männer bestmöglich positionieren. Und nun gesellt sich wahrscheinlich auch eine Vakanz für den Vorsitz des IWF-Direktoriums dazu. Na wunderbar. Der deutsche Fachkräftemangel ist dagegen ein Kinderspielplatz.
In Abkürzen sind die Europäer zumindest groß. Übrigens auch bei der Angleichung des europäischen Zahlungsverkehrs SEPA: eine 22-stellige Kontonummer symbolisiert die Einigkeit (womöglich sollte anfangs jede Stelle für ein Mitgliedsland stehen). Bei der Besetzung dieser Gremien sind sie dagegen weniger kreativ. Es gibt kein Miteinander, sondern Gefeilsche und Gerangel. Eine Währung, aber viele Interessen. Das Traurige daran, sie sind größtenteils machtpolitisch motiviert. Eine Harmonisierung von Wirtschafts- und Finanzpolitik, dem wohl effektivsten Stabilisierungsmechanismus, wird es in naher Zukunft nicht geben.
Gleiches gilt für die Außenpolitik. Deutscher Pseudo-Pazifismus steht eben immer noch über der Einheit Europas und lässt den Rest der Union im Sicherheitsrat dumm aus der Wäsche gucken. Auch bei einem türkischen EU-Beitritt ist Einigkeit Fehlanzeige. Im Fall Syrien kam es ausnahmsweise zu einer Übereinkunft – auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Gemeinsam gegen Menschenrechtsverletzungen kämpfen? Pustekuchen. Beim Umgang mit Passagierflugdaten und einer Datenweitergabe an die USA: Stillstand wegen Kompromissunfähigkeit.
Und dass nicht nur die Politik die Finger im Spiel hat um auf nationale Befindlichkeiten aufmerksam zu machen, demonstrieren Energie- und Automobillobbyisten vorbildlich. Ganz aktuell: die Stresstests für Atomkraftwerke. Weich wie Pasteten wenn es nach den Franzosen gehen soll und hart wie der Eisbeinknochen falls sich die Deutschen durchzusetzen vermögen. Das Geschacher um Subventionen ist ja mittlerweile ein alter und anerkannter Hut.
Die EU ist bisweilen fleißig bemüht, die Aussetzer ihrer Mitglieder zu bändigen. Frankreich konnte wegen der heftig umstrittenen Roma-Abschiebungen gerade noch ein Strafverfahren umgehen. Ungarn wird sich dem vermutlich nicht entziehen können. Trotz Ratspräsidentschaft hat Ungarn demonstriert, dass es wenig von den europäischen Rechten wie Meinungsfreiheit hält. Dass mittlerweile rechte Banden durch seine Dörfer ziehen und sogenannte Selbstjustiz an Sinti und Roma verüben, stellt den Tiefpunkt der anti-demokratischen Entwicklung in unseren Reihen dar. Jeder kocht sein eigenes Süppchen.
Womöglich handelt es sich bei dieser Aufzählung nur um den Parados, dem Eingangslied einer griechischen Tragödie. Doch ungeachtet aller Konflikte: Europa braucht die EU. Und besonders brauchen die Europäer die EU. Letztere muss es ihnen nur eindringlich begreifbar machen, denn nur so können sich die Bürger gegen die Kleinstaaterei ihrer Regierungen zu Wehr setzen, wenn wieder einmal ihre Rechte dem nationalen machtpolitischen Kalkül zum Opfer fallen. Das ist der einzige Weg, das einmalige Projekt einer Europäischen Union zu bewahren. Ein von Bürokraten getragenes System ist zum Scheitern verurteilt. Schließlich haben die Europäer bereits gezeigt, dass sie durchaus einig sein können. Im Eurovision Song Contest befanden sie mehrheitlich: die Schweizer waren au-dessous de la moyenne – unterdurchschnittlich.

* European System of Financial Supervision, European Supervisory Authorities, European Supervisory Authority (Insurance and Occupational Pensions), European Banking Authority, European Securities and Markets Authority und European Systemic Risk Board

Dienstag, 12. April 2011

Grüne Revolution frisst ihre eigenen Kinder

Was ist Deutschland eine atomfreie Zukunft wert?

Die Katastrophe im Atomkraftwerk Fukushima zieht weit größere Kreise als die japanische Regierung den Evakuierungsring um das AKW. In Deutschland sind die Wellen des zerstörerischen Tsunamis nicht so verheerend tödlich, krempeln die Gesellschaft dennoch gehörig um. Nicht Häuser wurden weggespült, sondern politische Bastionen der konservativen Logik: Deutschland braucht die Kernkraft; für einen nachhaltigen Ausstieg, so die Argumentation; für das Portemonnaie der Stromkonzerne, so die Vermutung, und für die Aufstockung des Sparpaketes, so die Tatsache.
Was das Unglück in Japan mit dem deutschen Energiemix zu tun hat, ist auf erstem rationalen Blick nicht offensichtlich. Deutsche Atomkraftwerke seien sicher, lautete die damalige Beschwichtigung der schwarz-gelben Bundesregierung. Plötzliche plattentektonische Naturkatastrophen von japanischen Ausmaßen werden weiterhin nicht in Mitteleuropa erwartet. Jedoch offenbare das Desaster die Unberechenbarkeit strahlender Energielieferanten wie Uran und schließlich dürfe man selbst als Politiker seine Meinung ändern. So viel zur Begründung des Schwenks der Koalition, im Besonderen der FDP. Wenn die Laufzeitverlängerung der Regierung auf Meinungen beruhte, dann vielen Dank!
Damit zeigt Merkel nicht ihre Einsichtigkeit oder gar ihr grünes Gewissen, sondern lediglich, dass das Aus für den Ausstieg argumentativ nicht stichhaltig war. Resultat: wilder Aktionismus. Ob nun Wahlkampftaktik oder nicht, das Moratorium zur Abschaltung der sieben Altmeiler und Krümmel ist weit tiefgreifender und folgenreicher als ein paar Wählerstimmen. Das muss selbst Schwarz-Gelb gewusst haben. Und nun haben sie den Salat: eine versalzene Wahl und den grünen Miesepeter.
Der grüne Miesepeter ist wie das Ying und Yang: ein schneller Ausstieg aus der Atomenergie bedeutet zwar weniger Risiko auf kürzere Zeit und eine geringere Menge an radioaktiv verseuchtem Abfall (und vielleicht Wählerstimmen). Gleichzeitig sind damit allerdings auch hohe finanzielle, wirtschaftliche und ökologische Herausforderungen zu überwinden bei denen teilweise selbst theoretisch keine schnelle Lösung möglich ist. Um ihre Glaubwürdigkeit nicht noch weiter zu ruinieren, kann es sich die Bundesregierung nicht leisten, den Miesepeter wieder von sich zu schieben. Für eine Kehrtwende ist es zu spät.
Entgegen der Gelassenheit der Opposition, ist dies jedoch nicht nur ein Problem der schwarz-gelben Regierung. Im Laufe der Debatte werden wir zwangsläufig zu dem Punkt kommen, an dem sich die gesamte deutsche Gesellschaft entscheiden muss, was ihr der Atomausstieg wert ist.
Und dieser Punkt wird in die Geschichte eingehen. Es geht bei Weitem nicht mehr darum, dass Parteien ihr Grundsatzprogramm bekräftigen oder abändern. Es geht um die Frage, ob die deutsche Gesellschaft nach all den Jahren ökologischer Vernunftserziehung sich auch der Tragweite dieser Entscheidung bewusst ist. Und inwieweit sie diese mitbeeinflusst. Jeder wird sich die Frage stellen, mit wie viel Euro atomstromfreier Strom die Geldbörse zusätzlich belasten kann. Soziologisch werden aber ganz andere Fragen eine Rolle spielen, die das Selbstverständnis unserer Gesellschaft prägen werden.
Wie viel ist uns ein grünes Gewissen wert? Ziehen wir Kohlekraftwerken AKWs vor? Was können wir unseren Kindern aufbürden? Wie viel Atomschrott können wir verkraften? Was bedeutet uns der ungestörte Blick auf Täler und Auen? Sind wir bereit Schweinswale für unseren Strom zu opfern? Können wir rechtfertigen, Seetaucher und andere Zugvögel anstatt Uran zu verbrauchen? Geben wir Moore und Wiesen für Anbauflächen von Monokulturen auf? Sind wir entschlossen für eine bedingungslose Selbstversorgung mit Elektrizität die Artenvielfalt aufs Spiel zu setzen? Und vor allem, wie können wir diese unwiederbringlichen Entscheidungen den kommen Generationen begründen? Mit einer Naturkatastrophe auf der anderen Seite des Globus? Oder unserem Wunsch nach mehr Sicherheit?
Auf all diese Fragen wird es keine schnelle Antwort geben. Auch die Bundesregierung wird sie nicht beantworten können und sollte sich auch nicht anmaßen dies zu tun. Es braucht eine breite gesellschaftliche Debatte die wahrheitsgemäß und offen geführt wird, und kein Netzausbaubeschleunigungsgesetz oder dergleichen. Eine Entscheidung, die all unser Leben, unsere Natur und zukünftige Sicherheit so stark beeinflusst, rechtfertigt auch den Gebrauch von Volksentscheiden; um eine Nation wirklich vor die Wahl zu stellen.
Dass diese Debatte leidenschaftlich geführt würde, zeichnet sich bereits heute ab. Unzählige Gutachten, Sachverständigenräte, Kommissionen und so weiter behaupten entweder, der Ausstieg sei nicht ohne erheblichen ökologischen Einschnitten zu bewältigen, das Gegenteil oder irgendetwas dazwischen. Jedoch muss für jeden klar sein, dass ein Komplettausstieg nicht ohne ökologische Folgen bleiben kann. Es wird immer ein Miteinander-Aufwiegen bleiben. Alles natürlich unter der Prämisse nicht zum Netto-Importeur von Strom zu werden. Auch diese Tatsache muss zur Disposition stehen. Deutschland versorgt sich auch nicht selbst mit Öl, Eisenerz, Edelmetallen, etc. Woher also der Anspruch auf Elektrizität?
Der deutsche Energiemix in der Zukunft ist so unbestimmt wie noch nie. Plötzlich ist alles möglich. Weniger möglich als viel mehr sicher gilt jedoch: das Leitbild grüner Politik, der Ausstieg aus der Kernenergie, wird zwangsläufig auf Kosten anderer grüner Maxime wie Artenschutz gehen. Es ist nun an der Gesellschaft zu entscheiden, was ihnen von größerer Bedeutung ist. Zu ihrem Wohl. Und dem nachfolgender Generationen.

Freitag, 8. April 2011

EZB-Entscheidung ist keine Zinswende sondern ein politischer Befreiungsschlag

Die gestrige Entscheidung der Europäischen Zentralbank den Leitzins um ein Viertel Prozentpunkt von 1,0 auf 1,25 Prozent anzuheben stößt auf geteiltes Echo im Markt. Richtig freuen kann sich allerdings niemand.
Derzeit stehen sich zwei Lager gegenüber. Die einen fürchten die steigende Inflation, ausgelöst mehrheitlich durch außereuropäische Preissteigerungen bei beispielsweise Öl und Lebensmittel, und die Bildung von Blasen durch Kreditexzesse denen ein niedriger Leitzins dienlich ist.
Die andere Seite sorgt sich um die Konjunktur der sogenannten PIGS – Portugal, Irland, Griechenland und Spanien. Bis auf letzterem hänge alle am Tropf der EZB. Eine Erhöhung der Leitzinsen, also der Zinsen, die Banken an die Zentralbank für geliehene Liquidität und eben diese Staaten für die Hilfsdarlehen aus dem EFSF bezahlen, wird deren wirtschaftliche Erholung weiter erschweren und möglicherweise mitunter sogar zum Scheitern verurteilen.
Die Meinungen über den Effekt dieser Entscheidung gehen weit auseinander. Die meisten Ökonomen halten die Auswirkungen jedoch für marginal. Aus diesem Grund werden zusätzliche Anhebungen erwartet, da durch einen solchen Schritt dem primären Ziel der EZB, die Inflation zu begrenzen, womöglich wenig geholfen ist. Dies liegt mitunter auch daran, weil der hiesige Preisanstieg nicht hausgemacht ist.
Andere Wirtschaftswissenschaftler prophezeien jedoch eine ähnliche Tragweite dieser Entscheidung wie die Erhöhung 2008, welche die Krise im Euroraum drastisch verschärfte. Liquiditätsengpässe und Refinanzierungsschwierigkeiten seien vorprogrammiert.
Wahrscheinlich haben beide Lager recht. Die Krise in den Peripherie-Staaten wird sich weiter verschärfen und die Gefahr einer Überhitzung der Wirtschaft der Kernländer konnte gemindert werden. Nur sind diese Effekte äußerst gering und werden durch andere Ereignisse aufgefangen oder gemildert werden. Die Entscheidung der Europäischen Zentralbank kann somit kein Umdenken in ihrer Geldpolitik bedeuten.
Der Bank geht es vielmehr darum, einen politischen Befreiungsschlag zu exerzieren. Durch die Finanzkrise ist die EZB zu einem Retter in der Not geworden. Viele Euro-Staaten haben die Mechanismen der EZB ausgenutzt um eine Verschlimmerung der Krise abzuwenden, gleichzeitig aber auch nicht selbst unbeliebte wirtschaftliche Reformen einleiten zu müssen, die einen drohenden Staatsbankrott hätten abwenden können.
Lange hat sich die Zentralbank dem politischen Einfluss verwehren können. Als Vorbild galt die Bundesbank. Während der Krise ist der Druck der Regierungen auf Trichet jedoch so groß geworden, dass das Unerwünschte unvermeidlich wurde. Sicherlich kann es nicht im Interesse der EZB liegen, den Euro-Raum auseinanderbrechen zu lassen. Die Einflussnahme war allerdings offensichtlich.
Den Euro-Staaten blieb so mehr Zeit, den heimischen Konsum wieder anzukurbeln anstatt durch Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen einen möglichen aufkeimenden Aufschwung im Kern zu ersticken. Den Staaten unter dem EFSF-Rettungsschirm bleibt nun auch das nicht erspart. Und die übrigen Länder konnten sich, ohne großen Verzicht üben zu müssen, auf eine wieder anziehenden Weltkonjunktur vorbereiten.
Damit soll nun vorerst Schluss sein. Die Entscheidung der EZB wird den Markt nicht aus den Fugen geraten lassen. Aber sie demonstriert mit einem Paukenschlag, dass die Euro-Staaten von jetzt an wieder selbst für ihre Haushalte verantwortlich sind und sich die EZB erneut ihrem eigentlichen Ziel widmet: Preisstabilität. Vielleicht ist das endlich der Anlass für ernsthafte und tiefgreifende wirtschaftliche Reformen, in allen Euro-Staaten.

Mittwoch, 6. April 2011

UNO light: die Staatengemeinschaft verfehlt ihr oberstes Ziel ihrer selbst wegen

Die Vereinten Nationen, ein Nachkriegskonstrukt zur Schaffung und Wahrung des Weltfriedens, stehen sich selbst bei der Verfolgung der eigenen Ideale im Weg. Diese sind der Erhalt des weltweiten Friedens und eine Garantie für internationale Sicherheit.

Neue Herausforderungen

Doch schwelenden Konflikte im Maghreb und Nahen Osten zeigen, dass selbst im Zeitalter des ungehinderten Informationsflusses Despoten auf ihre eigene Bevölkerung losstürmen und Ihrer Macht wegen Blutbäder anrichten. Die Zeiten sind vorbei, in denen die Weltbevölkerung erst Jahre später von Genoziden erfuhr und sie nicht vermag rechtzeitig zu intervenieren. Twitter und Facebook, aber auch WikiLeaks lassen die Weltgemeinschaft am Schrecken der Tyrannen teilhaben, in Echtzeit und ungeschminkt.
Dass diese Staaten selbst Mitglieder der UN sind, ändert wenig an der Beharrlichkeit autoritärer Regenten. Denn seit ihrer Gründung verpflichtet sich die UNO nationalen politischen und territorialen Interessen nicht zuwider zu handeln.
Jedoch geht eben diese Gründung auf ein Jahrzehnt des Zerstörens zurück, in dem sich Staaten überwiegend untereinander bekriegten. Die kürzlichen und immer noch anwährenden Auseinandersetzungen zeigen jedoch, Kriege werden heute innerhalb der Landesgrenzen geführt. Dass diese nicht den Weltfrieden bedrohen können, ist eine naive Haltung die widerspiegelt, dass sich die Staatengemeinschaft noch nicht den Herausforderungen der heutigen Zeit stellen möchte.
Nicht nur ausgelöste Flüchtlingswellen (siehe Italien und Liberia), sondern auch im Chaos des Geschehens getarnte Waffenhehlerei (wie jetzt im Fall von libyschen Waffen an Al-Kaida) bedrohen die Weltgemeinschaft in allen Winkel des Globus, ganz zu Schweigen von unzähligen Menschenrechtsverletzungen die fortan begangen werden.
Und eine Besserung der Lage ist nicht in Sicht. Der Sudan steht kurz nach seiner Aufspaltung vor einem Bürgerkrieg, ebenso nehmen Spannungen im Yemen und Irak innerhalb der Bevölkerung zu. Der Libanon sitzt auf einem Pulverfass und erwartet das Urteil des UN-Tribunals zum Hariri-Mord. Es brodelt vielerorts und die Vereinten Nationen haben darauf noch keine Antwort gefunden.
Dabei sind solche Konflikte durch die voranschreitende Globalisierung und wirtschaftlichen und finanziellen Verflechtungen nicht mehr national zu beschränken (siehe ivorischer Kakao und libysches Öl). Es sind zwar meist ethnische Spannungen, die zum Konflikt führen, doch die Weltgemeinschaft trifft es im Mark: es belastet den Welthandel. Steigende Preise sind das Ergebnis, welche wiederum zu weiteren Spannungen führen können, wenn sich beispielsweise indische Bauern das Saatgut nicht mehr leisten können. Die Welt ist zusammengewachsen.
Die UNO interveniert somit nur in Krisenherden in denen es bereits richtig geknallt hat. Die Gefahrenminderung für die Weltgemeinschaft muss jedoch schon wesentlich früher beginnen. Daran wird sie allerdings nicht nur durch ihre eigenen Statuten (die Wahrung der nationalen Souveränität) gehindert, sondern eben auch, weil die Staatengemeinschaft eine Staatengemeinschaft ist. Soll heißen, auch im Sinne des Weltfriedens vertritt jedes Mitglied eigene Interessen. Nicht anders können zum Beispiel die Enthaltungen bei der Resolution 1973 zur Intervention in Libyen, auch auf deutscher Seite, erklärt werden. Solch Interessen sind, wie sollte es auch anders sein, meist wirtschaftlicher Natur. Die Perfidie dieser Tatsache muss wohl nicht erläutert werden.

Umbau erforderlich

Was es also braucht ist einen Sinneswandel auf der einen Seite . Die Welt tickt heute anders als nach dem Zweiten Weltkrieg und niemand kann es sich erlauben, losgelöst vom Rest der Welt vor sich herzuwerkeln. Zum Anderen ist eine Modernisierung der UNO von Nöten. Die Statuten müssen erlauben, auch in nationalen Konflikten frühzeitig eingreifen zu können, nicht erst wenn Al-Jazeera von Leichenbergen auf den Straßen berichtet. Denn auch wenn Völker innerhalb der eigenen Grenzen aufeinander losgehen, so ändert das nichts am Ziel der UN, die „[...] Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle [...]“ zu fördern. Außerdem müssen die Vertreter der Mitgliedstaaten unabhängiger von ihren heimischen Regierungen und deren Wahlversprechen entscheiden dürfen. Zwar ist die Rückendeckung der Vertreter durch ihre Regierung unabdingbar, dennoch sollte das internationales Interesse am Weltfrieden über wirtschaftlichen Belangen oder Klüngeleien einzelner Staaten stehen.
Eine Restrukturierung der UNO steht bereits seit Langem auf der Agenda, doch es zeigt sich, dass, ebenso wie bei Post-Kyoto oder der Finanzkrise, die Staatengemeinschaft sehr behäbig Entscheidungen trifft. Die unmittelbare Gefährdung von Menschenleben sollten sie aber zur Eile ermahnen.
Und vielleicht bietet gerade dieses Projekt, einem unbeliebten und erfolglosen Außenminister die Chance, sich trotz aller Zweifel zu profilieren. Das ist jedoch ein ganz anderes Thema.

Donnerstag, 13. Januar 2011

Pakistan droht zum Konfliktherd Nr. 1 im Nahen und Mittleren Osten zu werden

Die Anzahl der Staaten im Nahen und Mittleren Osten, die die Aufmerksamkeit des Westens beanspruchen ist nahezu ebenso hoch wie deren Anzahl auf der Landkarte. Jüngst ist der Libanon in den Fokus geraten. Hisbollahs lang befürchtete Aufkündigung der Regierungszusammenarbeit mit Hariri ist nun Realität – die schlimmste Befürchtung: die Destabilisierung des gesamten Nahen Ostens. Und der Iran ist eben der Iran. Und so weiter.

Doch das ist mitunter das kleinere Übel. Rund 3.500km weiter östlich mausert sich Pakistan zum Konfliktherd Nr. 1 in der Region. Es besitzt wesentlich mehr Konfliktpotenzial als die meisten anderen Länder zwischen Asien und Europa. Und das nicht nur wegen seiner Atombombe.

Pakistans vermeidlich negative Entwicklung begann mit dem Einmarsch der Alliierten in Afghanistan. Fortan operieren führende Köpfe einer handvoll Terrororganisationen, vorneweg Al-Qaida, aus der ehemaligen britischen Kolonie heraus. Größtenteils ungehindert können die Taliban sich über die afghanisch-pakistanische Grenze mit Nachschub versorgen. Die schwache Regierung um Staatsoberhaupt Asif Ali Zardari hat es trotz zahlreicher militärischer Interventionen im berüchtigten Waziristan nicht geschafft, den Terrorismus aus dem Land zu verbannen.

Das wird auch keineswegs durch Gewehrsalven zu bewältigen sein. Ca. 18.000 Koranschulen tragen dazu bei, die Bevölkerung zu radikalisieren und im Besonderen zu islamisieren. Die islamische Republik durchläuft seit ihrer Abtrennung von Indien 1947 eine konstante Entwicklung hin zu einem religiös fundamentalistischen Staat. In vielen Landesteilen, und landesweit in einigen Teilgebieten des Zivil- und Strafrechts, wird die Scharia, das islamische Recht, angewandt – zuständige gerichtliche Instanzen neben dem Obersten Gerichtshof sind bereits fest etabliert.

Die jüngsten Vorkommnisse, die den Westen beunruhigen sollten und auf die islamische Rechtsauslegung zurückgehen, sind die Geschehen um das sogenannte Blasphemie-Gesetz. Zwar wurden bislang keine Todesurteile vollstreckt, doch wurde die Todesstrafe bereits über eine Christin verhängt und zahlreiche angebliche Gotteslästerer befinden sich bereits im Gefängnis. Es ist sehr beunruhigend, wenn in einem mutmaßlichen Rechtsstaat, dessen Rechtsgrundlage auf dem britischen Common Law basiert, ein Mörder selbst von Politikern gefeiert wird, der einen Kritiker dieses Gesetzes berechnend erschossen hat. Dem Gouverneur der ostpakistanischen Provinz Punjab, Salman Taseer, wurde selbst bei seiner Beerdigung die letzte Ehre von Teilen der Regierung verwehrt.

Es ist zu befürchten, dass auf dem Zerfall der Regierung des Präsidenten Asif Ali Zardari eine weitere Islamisierung des Landes erfolgen wird. Der Austritt der MQM, einer liberalen Partei mit Dominanz in der Wirtschaftsmetropole Karachi, könnte die Regierung zu weiteren Zugeständnissen an fundamentalistische Parteien bewegen, sollte die Opposition ein Misstrauensvotum stellen. Auch die USA sehen die Lage in Pakistan kritisch. Die Bombardements in der Grenzregion zu Afghanistan beweisen deren Überzeugung, dass das Land des Indus nicht selbst vermag Herr der Lage zu werden. Die Veröffentlichung der US-Depeschen durch WikiLeaks enthüllte darüber hinaus, dass Washington äußerst besorgt ist. Grund waren Äußerungen Zardaris, die Zweifel an der Beherrschbarkeit des Militärs weckten.

Seit der Demokratisierung Pakistans 2008, nach dem Militärputsch 1999 unter General Pervez Musharraf, war es der Regierung nicht möglich, Doppelstrukturen im Militär und Machtkonflikte zu entschärfen. Der berüchtigte Staat im Staate könnte jederzeit erneut durch einen Putsch an die Macht zurückkehren. Aber auch Terroristen bedrohen die Stabilität Pakistans. Die Sorge besteht unentwegt, Islamisten könnten sich Zugang zu den Atomwaffen des Landes verschaffen. Die Konsequenzen wären verheerend. Der armen Bevölkerung, besonders durch die starken Überschwemmungen des letzten Jahres in zusätzliche Not geraten, könnte schwerlich glaubhaft gemacht werden, warum sie die Parteien wählen sollten, dessen Politiker sie während Zeiten akuter Hilfsbedürftigkeit im Stich ließen, und nicht etwa Al-Qaida und Co., die sie wenigstens mit dem Notwendigen versorgten. Vorausgesetzt natürlich, es kommt aufgrund eines gescheiterten Misstrauensvotums zu Neuwahlen.

Die MQM hat bisher jedoch verlauten lassen, die Stabilität der Regierung nicht aufs Spiel zu setzen. Unter gewissen Bedingungen selbstverständlich. Auch ist eine militärische Intervention des Westens durch Bodentruppen der Isaf, oder gar ein UN-Mandat, im Moment unwahrscheinlich, doch häufen sich Anlässe, die eine Erwägung ebensolcher Maßnahmen durchaus vorantreiben sollten.

Pakistan kämpft an vielen Fronten. Innen- und außenpolitisch könnten die Umstände für einen fragilen demokratischen Staat kaum bedrohlicher sein. Sollte der Westen und die Regierung um Zardari versagen, das Land zu stabilisieren und den Terrorismus und Fundamentalismus zumindest einzudämmen, liefe die gesamte Region zwischen der Türkei und Indien Gefahr, sich zu einem Krisenherd unvorstellbarer Ausmaße zu entwickeln. Die Verflechtungen unter den Staaten des Nahen und Mittleren Ostens sind äußerst labil und beruhen auf Machtambitionen vieler Staatenchefs. Die Westmächte sollten sich dies zu Nutze machen und dementsprechend intervenieren, indem sie zum Beispiel Indien im Friedensprozess mit Pakistan unterstützen und der pakistanischen Regierung zu einem außenpolitischen Erfolg, im Besonderen im Zusammenhang mit der Krisenregion Kaschmir, verhelfen. Auch der Internationale Währungsfonds könnte der Regierung entgegenkommen, der er 11 Mrd. Dollar zur Verfügung stellte, indem er die Anforderung an wirtschaftliche Reformen zu Gunsten von Maßnahmen, die der Bevölkerung unmittelbar dienen, herunterschraubt.

Zu viele andere Konflikte in der Region lenken den Blick vom potenziellen Konfliktherd Nr. 1 ab. Es ist Zeit, sich um die wahre Bedrohung zu kümmern und Aufmerksamkeitshungrige wie Ahmadinedschad einmal links liegen zu lassen. Eine falsche Außenpolitik des Westens im Umgang mit Pakistan käme einem Verzicht, den Nahen und Mittleren Osten jemals zu befrieden, gleich.

Sonntag, 2. Januar 2011

Eine Bestandsaufnahme der Welt – wo es zum Jahreswechsel kriselt

Und möge es beginnen - das Jahr 2011. Nun bleiben uns lediglich 99 weitere Jahrzehnte in diesem wunderbaren Jahrtausend der iPods, A380s und 3D-Fernseher. Jedoch genug Zeit, um den Welthunger zu beenden, außerirdisches Leben zu entdecken und Frieden im Nahen Osten zu schließen. Alles spannende Fragen, doch beginnen wir im Kleinen und machen eine Momentaufnahme auf der Schwelle in die neue Dekade. Kein weiterer Jahresrückblick. Auch keine Erwartungen für das Jahr 2011. Nur Status quo.
Heute, wie auch in der Vergangenheit und in der Zukunft, stehen wir vor einer Reihe von Problemfeldern. Sie haben größtenteils humanitäre, ökologische, politische oder wirtschaftliche Hintergründe. Zu jedem Hintergrund ließe sich eine schier endlose Liste von Konflikten aufstellen. Die Konzentration soll aber auf Themen liegen, die uns nicht seit Jahrzehnten in jedes neue Jahr begleiten. Denn leider sind wir immer noch nicht in der Lage die Verbreitung von AIDS einzudämmen, Tibet unabhängig zu erklären oder die Endlichkeit der Rohstoffe zu umgehen. Und dies wird aller Voraussicht nach auch nicht in naher Zukunft geschehen.

Humanitäre Konfliktherde


Auf dem gesamten Globus begegnen wir heute zahlreichen humanitären Problemen. Aktuell beobachten wir wieder einmal die Auseinandersetzung zwischen Christen und Moslems in Nigeria mit zahlreichen Toten. Das Konfliktpotenzial ist seit langem bekannt und doch kamen die Ausschreitungen überraschend. Selten hat der Pontifex so zeitnah zur Deeskalation gedrängt. Und der Westen ist mit einer zügigen diplomatischen Lösung bislang überfordert.
In Haiti hat sich die Situation für die meisten Erdbebenopfer immer noch nicht normalisiert. Cholera rafft vornehmlich die Landesbevölkerung dahin. Die UNO sieht sich Vorwürfen ausgesetzt, diese in das bitterarme Land eingeschleppt zu haben. Hilfsgelder können nur stockend eingesetzt werden. Die Infrastruktur liegt weiterhin am Boden.
Und es liegt Bürgerkrieg in der Luft. Sollten die Anhänger des in der Elfenbeinküste gescheiterten Präsidentschaftskandidaten Gbagbo gegen die Anerkennung des Wahlsiegers Ouattara vorgehen, droht eine Gewaltspirale ausgelöst zu werden, die die Entwicklung des Landes um Jahre zurückwerfen wird. Zehntausende Ivorer sind bereits auf der Flucht.

Ökologische Herausforderungen


Bis auf einer Abschlusserklärung voller guter Vorsätze fürs neue Jahr sind die UN-Klimaverhandlungen in Cancun erwartungsgemäß beendet worden, ohne einen großen Coup zu landen. Wir haben bis dato kein Post-Kyoto-Protokoll-Abkommen. Und die Entwicklungs- und Schwellenländer zeigen sich kompromissunwilliger denn je. Der weltweite Handel mit CO2-Zertifikaten ist nach Japans Rückzug, einen solchen ein umzusetzen, lediglich eine Schubladengeburt.
Die EU hat es nicht geschafft, ehrgeizige Fangquoten für die europäischen Flotten zu beschließen. Der rote Thunfisch ist so stark gefährdet, dass der japanische Großkonzern Mitsubishi bereits damit begonnen hat, massenhaft Thunfisch für die Nachwelt einzufrieren.
Der neuste Trend an europäischen Tankstellen heißt von nun an E10, der Kraftstoff mit einem zehn-prozentigen Anteil von Biosprit. Dabei sind positive ökologische Folgen äußerst umstritten. Bereits gelebte Praxis ist dagegen, den Anbau von Lebensmitteln durch Nutzpflanzen zu substituieren die sich zur Herstellung von Biosprit eignen. Zwar gibt es Bestimmungen, die die Abholzung von Regenwald zu diesem Zweck untersagen, jedoch keine, die verhindern, dass an solchen Stellen der verdrängte Anbau von Lebensmitteln stattfinden darf.
In Deutschland wird zudem munter an Klagen gegen die Verlängerung der Atomkraftwerkslaufzeiten für das Verfassungsgericht gebastelt. Die Kläger argumentieren, dadurch wird der Ausbau von Erzeugern regenerativer Energien behindert und der Nachwelt Tonnen weiteren Atommülls aufgebürdet.
Die ökologischen Langzeitfolgen aus der Explosion der Deepwater Horizon im Golf von Mexiko sind weiterhin ungeklärt. In der Tiefsee werden tausende Liter Rohöl vermutet.

Politik Politik Politik


Nach wie vor bestimmen politische Konflikte die Inhalte der meisten Zeitungen. Topaktuell, die Verurteilung von Chodorkowski in Russland. Weniger das Urteil an sich, als die russische Rechtsprechung und Gewaltenteilung besorgen den Westen. Die Aufnahme in die NATO, Moskaus Annäherung zu Europa, das Anlocken ausländischer Investoren sind Vorhaben, die durch den Richterspruch stark konterkariert werden.
Ungarns umstrittenes Mediengesetz tritt heute in Kraft. Opposition und Ausland befürchten die Einschränkung der Meinungsfreiheit und blicken mit Argwohn auf eine Regierung die sich womöglich ein reines Image erzwingen will. Ab heute hält Ungarn die Ratspräsidentschaft inne und scheint dennoch allen Bestrebungen der EU zu einer Umkehr des Gesetzes standzuhalten.
Dieses Silvester konnten die Soldaten in Afghanistan erstmalig mit einem ungefähren Abzugsdatum feiern. Dass einem bei einem solchen eher nicht zu feiern zu mute ist, verwundert auch nicht. Die Versprechungen sind sehr vage. Die Sicherheitslage noch viel schlimmer. Und die Verluste unter den Alliierten erreichen neue Höchststände. Karsai wird in sein bisher schwächstes Jahr, gemessen am Rückhalt im Westen, starten und der Korruption der Korruption wegen keinen Einhalt gebieten.
In Weißrussland und Brasilien werden alte/neue Regierungen antreten. Die Ergebnisse beider Wahlen haben niemanden vom Hocker gerissen. Die Hoffnung, den Schandfleck Lukaschenka von der europäischen Demokratielandkarte loszuwerden, prägten die Reaktionen von Merkel und Co. Ändern wird sich wenig. In Brasilien ließ allerdings die Ankündigung von Lula-Nachfolgerin Rousseff etwas an den Beziehungen zu den USA zu ändern, aufhorchen. Brasilien sieht seine enormen Wachstumschancen wohl unter seinesgleichen auf dem südlichen amerikanischen Kontinent beschränkt und sucht Anschluss zu den alten Entwicklungsländern.
Bereits erwähnt: die Elfenbeinküste. Zwangsläufig eben auch ein aktuelles politisches Schlamassel. Die Androhung von militärischer Gewalt seitens der Ecowas steht weiterhin im Raum, hat aber wesentlich an Drohpotenzial verloren. Zu wenig politischer Druck kann aufgebaut werden unter dem Umstand, dass sich bei der Wahl eben doch auch 49% der Ivorer für Gbagbo ausgesprochen haben.
Scharlatan des Jahres und Held zugleich: Julian Assange. Er wird Neujahr mit einer Fußfessel in Großbritannien verbracht haben. Das Auslieferungsgesuch der schwedischen Regierung wird geprüft. Dort erwartet ihn nicht nur ein Prozess zu Vorwürfen der Vergewaltigung, sondern auch die Angst, dass den USA ein juristischer Kniff gelingt und er an eben diese abgeschoben wird. Der Plattform WikiLeaks wird dies nicht schaden, eher im Gegenteil. Gespannt warten wir auf die angekündigten Enthüllungen zu den Machenschaften an der Wallstreet.
Was die Diplomaten momentan auch weltweit besorgt, dafür braucht es kein WikiLeaks, ist die Situation auf der koreanischen Halbinsel. China stellt sich weiterhin stur, seinen kommunistischen Verbündeten öffentlich zurecht zu weisen. Es besteht die ernsthafte Sorge um eine militärische Auseinandersetzung. Südkoreas Einlenken zum Verhandlungstisch zurückzukehren, stieß bis dato auf keinerlei hörbares Echo. Die NATO, verpflichtet, einem Bündnispartner bei Angriff beizustehen, kann sich eine Eskalation des Konfliktes nicht leisten, zu stark wurden nationale Verteidigungsetats gekürzt oder werden momentan in Anspruch genommen.
In Deutschland wartet eine handvoll politischen Ungemachs auf Beilegung. Der Vermittlungsausschuss des Bundesrates brütet über die Hartz-IV-Reform. Was passiert nun eigentlich nach dem Schlichterspruch von Geißler zu Stuttgart-21? Sowieso, Volksentscheide standen selten so hoch auf der Agenda. Endlich kann die Wehrpflichtreform in die Realität umgesetzt werden. Wohingegen es beim sogenannten Sparpaket immer noch Defizite gibt. Finanztransaktionssteuer? Sollte die nicht eingeführt werden? Wir stehen heute ohne da. Ebenso ohne Mehrwertsteuerreform, Reform kommunaler Finanzen, Medienschutzgesetz, Klarheit über Vorratsdatenspeicherung, Rechtssicherheit über die Laufzeitverlängerung der AKWs und zu guter Letzt ohne einen starken FDP-Vorsitzenden oder designierten Nachfolger. Dafür herrscht heute immer noch erhöhte Terrorwarnstufe. Und Streusalz- und Enteisungsmittelknappheit.

Wirtschaftliche Problemstellungen


Nach der Finanzkrise hat wohl jedes Land mit gewissen Folgen zu kämpfen. Geeinigt sind sie dabei in der Euro-Zone. Der Stabilitätspakt ist ein wankendes riesiges Ungetüm, das nicht in der Lage sein wird, Portugal, Spanien, Italien und eventuell Belgien zu stabilisieren. Es herrscht der Eindruck, dass im Moment nur der Atem angehalten wird und das Glück und nicht finanzpolitische Raffinesse das Schicksal der Euro-Peripherie-Staaten bestimmen soll. Daraus erwachsen auch, siehe Image Merkel und Demos in Griechenlands, handfeste politische Herausforderungen. Der Euro wackelt und Zentralbanken weltweit hoffen, dass er standhält. Aber lediglich Hoffnung scheint die Devise zu sein.
Ernüchterung macht sich dagegen gegenüber Chinas Handelspolitik breit. Die Ankündigung zum Jahreswechsel, Exportzahlen zu Seltenerdoxiden nicht mehr bekannt zu geben, um westliches Geraune zu vermeiden, ruft ein bloßes Ohnmachtsgefühl hervor. Die Substituierung durch den Abbau seltener Erden außerhalb Chinas wird noch Jahre benötigen. Klagen bei der WTO ziehen sich eben so lang hin. Importeure und High-Tech-Unternehmen befürchten baldige Engpässe und es droht eine Stauchung unzähliger Produktlebenszyklen.
In Deutschland liegt Optimismus in der Luft. Die Exporte stehen an der Schwelle zwischen Konjunkturtreiber und Stagnation. Deshalb liegt von nun an der Fokus auf dem Binnenkonsum. Da kommt die hohe Beschäftigung gerade gelegen. Unterschwellig brodelt es jedoch bereits beim Thema Fachkräfte. Die ab heute geltende Arbeitnehmerfreizügigkeit wird daran vermutlich wenig ändern.

Zugegeben, es war ein kurzer Blick auf die Welt zum Jahreswechsel und bei weitem nicht vollständig. Erkennbar ist jedoch schnell: unsere Probleme werden nicht geringer in Anzahl und Dramatik. Die Weltgemeinschaft hat sich stillschweigend darauf geeinigt, zukünftig kleinere Brötchen backen zu wollen, dabei sind gerade unsere allseits bekannten und großen Konflikte diejenigen, die letztlich zu den meisten kleineren Schwierigkeiten führen. Die UN, die handlungsweisende Plattform der Staatengemeinschaft, muss endlich ihrer Verantwortung gerecht werden und die Regierungschefs ermutigen, beherzt zuzupacken. Vielleicht gelingt uns dies in dem zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts.