Montag, 5. Dezember 2011

Jetzt schlägt’s 13! Der Euro naht der Implosion.

Es ist ein Trauerspiel. Ein europäisches Jahrhundertprojekt steht dem Scheitern so nah, dass die Alarmsirenen in den Hauptstädten anschlagen sollten, bis sie niemand mehr überhört. Größtenteils tun sie das auch. Nur Berlin ist taub. Nur Merkel und Schäuble sträuben sich vehement gegen ein rigoroses Durchgreifen – aus Angst vor dem Parlament, als Getriebene der Investoren und als Ahnen einer konservativen Notenbankpolitik. Dabei ist die Zeit für Prokrastination und Taktieren vorüber. Die Märkte und die Menschen (ausgenommen den krisenresistenten Deutschen) warten auf einen Durchbruch, sonst droht der Zusammenbruch.
Ökonomen gehen bereits von einer Ausfallwahrscheinlichkeit der gesamten Euro-Zone von 30 Prozent aus. Einige Analysten schwarzmalen sogar 70 Prozent. Jedwede Rettungsaktion scheint die Implosion lediglich aufzuschieben. Die Ratings der 4 Loser, Griechenland, Portugal, Spanien und Italien (PIGS-Staaten) befinden sich dort, wo die Zinsen deutscher Anleihen ausharren: im Keller. (Ausgenommen Irland, was sich dank seiner starken Exporte wieder berappelt.) Diese Staaten sind, auch wenn sie sich noch teilweise am Finanzmarkt kapitalisieren können, allein durch ihre Zinslast nicht refinanzierungstauglich.
Die Briten nennen es Bazooka, ich nenne es Entschlossenheit. Bisweilen fehlt die Erkenntnis über die Ernsthaftigkeit der Lage. Wir brauchen schnellsten eine Feuerbekämpfung, welche auch das letzten Schwelen erdrückt. Dazu müssen die PIGS vorerst vom Anleihemarkt genommen werden, um die untragbare Zinslast abzuwenden und den nötigen finanziellen Spielraum zu schaffen, der für die Ankurbelung der Wirtschaft notwendig ist (also zeitweilig die Euro-Zone von 17 Euro-Staaten auf 13 schrumpfen). Denn durch die Geizerei hat sich die Schuldenlast im Gegensatz zur Konjunktur, nicht merklich verringert. Ohne Zweifel ist für den Fortbestand der Euro-Zone eine Harmonisierung der Volkswirtschaften obligatorisch. Ich bezweifle jedoch, dass Merkel die Bundesrepublik auf das Niveau der Krisenstaaten herunterwirtschaften möchte. Sie dürfen im Spardiktat nicht darnieder gedrückt werden, sondern müssen gleichziehen – auf deutschen Niveau (angeblicher ökonomisch germanischer Imperialismus hin oder her).
Da hilft es auch nicht, auf deutsche Befindlichkeiten in der Währungspolitik Rücksicht zu nehmen. Selbst Frankreich ziert sich vor dem Ausscheren aus Bundesbank-Präsident Jens Weidmanns Linie: kein EZB-Geld zur Schuldenfinanzierung einzelner Staaten. Zugegeben, das Mandat der EZB ist in dieser Hinsicht sehr restriktiv. Aber es wird wohl kaum jemanden geben, der lebendige Erinnerungen an die Hyperinflation der zwanziger Jahre hat und diese erneut fürchtet (welches das Hauptargument der Falken, also der Inflationsparanoiden ist). Schließlich kann sich die EZB ihr Mandat auch in die Haare schmieren, sollte es keinen Euro mehr geben.
Als nächster Schritt sind Euro-Bonds auf den Weg zu bringen. Ressentiments sind fehl am Platze. Es gibt tragfähige Modelle, die die Bedenken der Bundesregierung ausräumen. Eines habe ich bereits im Spätsommer vorgeschlagen. Nur so lässt sich verhindern, dass die EZB den Liquiditätsbedarf einzig und allein durch die Notendruckereien deckt. Ihr, der ESFS oder welcher Institution auch immer, muss der Zugang zum Markt offen bleiben. Dies gilt auch, wenn das Interesse der exoeuropäischen Investoren an Euro-Schuldtitel bisweilen geschrumpft ist. Die maue Nachfrage nach deutschen Anleihen hat letztlich nichts mit der Risikoaversion derer zu tun, sondern dass diese das Vertrauen in die gesamte Euro-Zone verloren haben und Bundesanleihen nur mickrige Zinsen abwerfen.
Schlussendlich sind Euro-Bonds und die Öffnung der Schotten für Zentralbankkapital jedoch nur die Feuerwehr. Dagegen ist das Verhalten der deutschen Regierung ein Brandbeschleuniger. Dabei steht das Fundament bereits lichterloh in Flammen. Sollte die Euro-Zone kollabieren, ist nicht nur ein europäischer Traum gescheitert - was auch ich persönlich als höchst bedauerlich empfinde -, es droht eine globale Rezession und die Bedeutungslosigkeit Europas, wirtschaftlich und politisch. Die deutsche Volkswirtschaft würde die langfristigen Kosten einer Wiedereinführung der D-Mark nicht tragen können: eine ungeheure Aufwertung ist unumgänglich, die Stütze der deutschen Wirtschaft, der Export, dürfte einbrechen, Massenarbeitslosigkeit, Neonationalismus und das Ende der europäischen Integration - wir befänden uns erneut in einer pre-Maastricht-Epoche.
Um das brennende Euro-Haus also nicht nur zu löschen, sondern auf solidere Grundfesten zu stellen, ist eine langfristige Vision von Nöten, die politischen Mut und das Bekenntnis zu mehr Integration, wirtschaftlicher Koordination und haushaltspolitischer Macht der EU-Kommission erfordert, sowie der streikenden Bevölkerung die Legitimität Brüssels verdeutlicht und das Streben nach den USE (United States of Europe) zu einer gemeinsamen europäischen Sache werden lässt.
Europa und der Euro sind zu wertvoll, um sie Merkels Unmut und Zaghaftigkeit zu opfern! Wir brauchen eine Explosion politischen Verantwortungsbewusstseins, andernfalls erleben wir die Implosion der Euro-Zone.