Sonntag, 20. Juni 2010

NRW: Ein Eiertanz geht zu Ende (vorerst)

Ein Aufatmen geht durch das Ruhrgebiet, das Rheinland, das Sauerland, das Münsterland, ja gar durch ganz Deutschland. Besonders die Parteispitzen um SPD und Grüne werden die Entscheidung der SPD-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft mit Erleichterung aufnehmen: die schwarz-gelbe Mehrheit im Bundesrat geht flöhten und der politische Umbruch auch auf Bundesebene mag für die nächste Wahl vorgezeichnet worden sein. So zumindest die Theorie.
Das Gerangel um den nordrhein-westfälischen Landtag ist mittlerweile schwer nachzuvollziehen. Wie kam es also eigentlich zu diesem Eiertanz? So wirklich verständlich scheinen die Entscheidungen von Frau Kraft nicht zu sein. Zuerst hieß es, die Bürger hätten ganz klar Schwarz-Gelb abgewählt und für eine neue Koalition aus Rot-Grün gestimmt. Bei 6.000 Stimmen weniger für die SPD als für die CDU ist diese Behauptung vielleicht mit einiger Skepsis hinzunehmen. Schaut man sich das Wahlergebnis an, wollten die Wähler aber wohl eher eine große Koalition (oder keine der beiden großen Parteien). Und dieser Wunsch ist auch offensichtlicher. Die Erinnerungen an Rot-Grün im Bund sind verschwommen und durch die Agenda 2010 getrübt. Und dass Schwarz-Gelb ausgedient hat erkennt man auch ohne den Blick auf die Landtagswahlen. Die große Koalition ist den Bürgern hingegen in weitaus besserer Erinnerung geblieben. Die Opposition war damals schwach und war nicht in der Lage fundierte Oppositionsarbeit zu leisten. Und innerlich waren sich beide Volksparteien bis zum Ende relativ einig: die Mehrheit nutzen, Konsens schaffen und wichtige Vorhaben realisieren. Dass es dabei auch mitunter heftigen Zoff gab, ist nicht vordergründig. Somit ist im Moment ebenso nachvollziehbar, dass sich viele Bürger auch auf Bundesebene eine Große Koalition zurückwünschen. Daran hätten sich die Landesfraktionen orientieren können. Was letztendlich hinter den Kulissen geschah, bleibt den Wählern jedoch verborgen. Dass die Bundesvorsitzenden von SPD und Die Grünen aber Druck aufgebaut haben und auf eine rot-grüne Koalition drangen ist dabei kein Geheimnis.
Krafts Glaubwürdigkeit wäre es dennoch gedient gewesen, wenn sie ihre oftmals widersprüchlichen Aussagen über ihre zukünftige Rolle und die der Partei für sich behalten und diese erst nach einer Einigung mit allen Seiten - auch auf Bundesebene - kundgetan hätte. Nur wollte und konnte sie das Entscheidungszepter nicht aus der Hand geben, auch, um nicht den Eindruck zu erwecken, sie sei eine Marionette. Zweifelsohne schlechte Voraussetzungen für eine Ministerpräsidentin.
Die Stelldichein mit der Linken, der FDP und mit der CDU haben dazu für reichlich Verwirrung gesorgt. Anmaßend hat die SPD darauf gewartet, dass ihre Partner auf sie zugehen. Woher diese Sturheit kam ist fraglich. Schließlich hat es die SPD geschafft die anderen Parteien als kompromissfaul dastehen zu lassen, ohne sie sich selbst dabei keinen Deut weit zu bewegen. Bis zu dem Zeitpunkt, als Kraft verkündete aus der Opposition heraus das Wahlversprechen einzulösen, glaubte auch niemand, dass die SPD nicht doch tatsächlich Neuwahlen bevorzugt, obwohl sie das natürlich stets verneinte. Die Demokratie hätte einen ernsthaften Schaden genommen, wäre es soweit gekommen. Das letzte Wort ist dabei allerdings noch nicht gesprochen. Sollte die neue rot-grüne Minderheitsregierung scheitern, wären Neuwahlen das einzig vernünftige. Das Vorhaben steht nun für die gesamte Legislaturperiode auf Messers Schneide. Schon die Wahl zur Ministerpräsidentin könnte für Kraft zum Kraftakt werden. Die Verabschiedung des Haushalts im Herbst ebenso. Die Regierung versucht somit Hürde um Hürde zu nehmen und halbwegs erfolgreich bis zur nächsten Landtagswahl durchzuhalten, ob vorgezogen oder nicht. Dann hofft man auf den Ministerpräsidenten-Bonus und auf eine stabile rot-grüne Mehrheit. Dass das nicht zwangsläufig der Fall ist, hat Rüttgers unfreiwillig bewiesen.
Dennoch kann solche Regierungsarbeit nicht automatisch von Erfolg geprägt sein. Der Druck auf Kraft bleibt konstant hoch und die Angst vor einem Scheitern der Koalition wird bei jeder Entscheidung präsent sein.
Dass Kraft diesen Verhältnissen ausgesetzt ist, ist wohl Gabriel und Co. zu verdanken. Ihren machtpolitischen Interessen wird es zu verdanken sein, wenn das Minderheitsregierungsexperiment scheitert und dabei wohl nicht nur die politische Karriere von Kraft auf dem Gewissen hat. Das Risiko ist groß und wird dennoch in Kauf genommen um im Bundesrat eine Mehrheit zu schaffen und die politische Kehrwende einzuläuten. Dass das nicht Krafts ursprüngliches Ansinnen war, ist leicht zu erkennen. Dass sie daraus gestärkt hervor geht allerdings nicht.