Donnerstag, 13. Januar 2011

Pakistan droht zum Konfliktherd Nr. 1 im Nahen und Mittleren Osten zu werden

Die Anzahl der Staaten im Nahen und Mittleren Osten, die die Aufmerksamkeit des Westens beanspruchen ist nahezu ebenso hoch wie deren Anzahl auf der Landkarte. Jüngst ist der Libanon in den Fokus geraten. Hisbollahs lang befürchtete Aufkündigung der Regierungszusammenarbeit mit Hariri ist nun Realität – die schlimmste Befürchtung: die Destabilisierung des gesamten Nahen Ostens. Und der Iran ist eben der Iran. Und so weiter.

Doch das ist mitunter das kleinere Übel. Rund 3.500km weiter östlich mausert sich Pakistan zum Konfliktherd Nr. 1 in der Region. Es besitzt wesentlich mehr Konfliktpotenzial als die meisten anderen Länder zwischen Asien und Europa. Und das nicht nur wegen seiner Atombombe.

Pakistans vermeidlich negative Entwicklung begann mit dem Einmarsch der Alliierten in Afghanistan. Fortan operieren führende Köpfe einer handvoll Terrororganisationen, vorneweg Al-Qaida, aus der ehemaligen britischen Kolonie heraus. Größtenteils ungehindert können die Taliban sich über die afghanisch-pakistanische Grenze mit Nachschub versorgen. Die schwache Regierung um Staatsoberhaupt Asif Ali Zardari hat es trotz zahlreicher militärischer Interventionen im berüchtigten Waziristan nicht geschafft, den Terrorismus aus dem Land zu verbannen.

Das wird auch keineswegs durch Gewehrsalven zu bewältigen sein. Ca. 18.000 Koranschulen tragen dazu bei, die Bevölkerung zu radikalisieren und im Besonderen zu islamisieren. Die islamische Republik durchläuft seit ihrer Abtrennung von Indien 1947 eine konstante Entwicklung hin zu einem religiös fundamentalistischen Staat. In vielen Landesteilen, und landesweit in einigen Teilgebieten des Zivil- und Strafrechts, wird die Scharia, das islamische Recht, angewandt – zuständige gerichtliche Instanzen neben dem Obersten Gerichtshof sind bereits fest etabliert.

Die jüngsten Vorkommnisse, die den Westen beunruhigen sollten und auf die islamische Rechtsauslegung zurückgehen, sind die Geschehen um das sogenannte Blasphemie-Gesetz. Zwar wurden bislang keine Todesurteile vollstreckt, doch wurde die Todesstrafe bereits über eine Christin verhängt und zahlreiche angebliche Gotteslästerer befinden sich bereits im Gefängnis. Es ist sehr beunruhigend, wenn in einem mutmaßlichen Rechtsstaat, dessen Rechtsgrundlage auf dem britischen Common Law basiert, ein Mörder selbst von Politikern gefeiert wird, der einen Kritiker dieses Gesetzes berechnend erschossen hat. Dem Gouverneur der ostpakistanischen Provinz Punjab, Salman Taseer, wurde selbst bei seiner Beerdigung die letzte Ehre von Teilen der Regierung verwehrt.

Es ist zu befürchten, dass auf dem Zerfall der Regierung des Präsidenten Asif Ali Zardari eine weitere Islamisierung des Landes erfolgen wird. Der Austritt der MQM, einer liberalen Partei mit Dominanz in der Wirtschaftsmetropole Karachi, könnte die Regierung zu weiteren Zugeständnissen an fundamentalistische Parteien bewegen, sollte die Opposition ein Misstrauensvotum stellen. Auch die USA sehen die Lage in Pakistan kritisch. Die Bombardements in der Grenzregion zu Afghanistan beweisen deren Überzeugung, dass das Land des Indus nicht selbst vermag Herr der Lage zu werden. Die Veröffentlichung der US-Depeschen durch WikiLeaks enthüllte darüber hinaus, dass Washington äußerst besorgt ist. Grund waren Äußerungen Zardaris, die Zweifel an der Beherrschbarkeit des Militärs weckten.

Seit der Demokratisierung Pakistans 2008, nach dem Militärputsch 1999 unter General Pervez Musharraf, war es der Regierung nicht möglich, Doppelstrukturen im Militär und Machtkonflikte zu entschärfen. Der berüchtigte Staat im Staate könnte jederzeit erneut durch einen Putsch an die Macht zurückkehren. Aber auch Terroristen bedrohen die Stabilität Pakistans. Die Sorge besteht unentwegt, Islamisten könnten sich Zugang zu den Atomwaffen des Landes verschaffen. Die Konsequenzen wären verheerend. Der armen Bevölkerung, besonders durch die starken Überschwemmungen des letzten Jahres in zusätzliche Not geraten, könnte schwerlich glaubhaft gemacht werden, warum sie die Parteien wählen sollten, dessen Politiker sie während Zeiten akuter Hilfsbedürftigkeit im Stich ließen, und nicht etwa Al-Qaida und Co., die sie wenigstens mit dem Notwendigen versorgten. Vorausgesetzt natürlich, es kommt aufgrund eines gescheiterten Misstrauensvotums zu Neuwahlen.

Die MQM hat bisher jedoch verlauten lassen, die Stabilität der Regierung nicht aufs Spiel zu setzen. Unter gewissen Bedingungen selbstverständlich. Auch ist eine militärische Intervention des Westens durch Bodentruppen der Isaf, oder gar ein UN-Mandat, im Moment unwahrscheinlich, doch häufen sich Anlässe, die eine Erwägung ebensolcher Maßnahmen durchaus vorantreiben sollten.

Pakistan kämpft an vielen Fronten. Innen- und außenpolitisch könnten die Umstände für einen fragilen demokratischen Staat kaum bedrohlicher sein. Sollte der Westen und die Regierung um Zardari versagen, das Land zu stabilisieren und den Terrorismus und Fundamentalismus zumindest einzudämmen, liefe die gesamte Region zwischen der Türkei und Indien Gefahr, sich zu einem Krisenherd unvorstellbarer Ausmaße zu entwickeln. Die Verflechtungen unter den Staaten des Nahen und Mittleren Ostens sind äußerst labil und beruhen auf Machtambitionen vieler Staatenchefs. Die Westmächte sollten sich dies zu Nutze machen und dementsprechend intervenieren, indem sie zum Beispiel Indien im Friedensprozess mit Pakistan unterstützen und der pakistanischen Regierung zu einem außenpolitischen Erfolg, im Besonderen im Zusammenhang mit der Krisenregion Kaschmir, verhelfen. Auch der Internationale Währungsfonds könnte der Regierung entgegenkommen, der er 11 Mrd. Dollar zur Verfügung stellte, indem er die Anforderung an wirtschaftliche Reformen zu Gunsten von Maßnahmen, die der Bevölkerung unmittelbar dienen, herunterschraubt.

Zu viele andere Konflikte in der Region lenken den Blick vom potenziellen Konfliktherd Nr. 1 ab. Es ist Zeit, sich um die wahre Bedrohung zu kümmern und Aufmerksamkeitshungrige wie Ahmadinedschad einmal links liegen zu lassen. Eine falsche Außenpolitik des Westens im Umgang mit Pakistan käme einem Verzicht, den Nahen und Mittleren Osten jemals zu befrieden, gleich.

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