Sonntag, 8. August 2010

Die Sicherungsverwahrung – moralisches Dilemma und ineffektiver Justizvollzug

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs spaltet die Rechtsgelehrten in der ganzen Republik. Dies hat befunden, dass die Freiheitsrechte der Straftäter verletzt werden, wenn sie über die Abbüßung ihrer Strafe hinaus in Sicherungsverwahrung verbleiben. Auf deutscher Seite wird dieses Vorgehen mit dem Sicherheitsbedürfnis der Gesellschaft begründet.
Wieder einmal gilt es, eine moralisch höchst komplizierte Frage zu beantworten: kann man das Glück mehrerer mit dem einzelner aufwiegen?
Deutschland hat darauf noch keine klare Antwort gefunden. Guantanamo-Häftlinge werden nun, um sie vor eventueller Folterung in ihrem Heimatland zu bewahren, aufgenommen und die Sicherheit der Bevölkerung gefährdet. Andererseits darf die Bundeswehr Flugzeuge nicht abschießen, die von Terroristen entführt und zu fliegenden Bomben gemacht wurden. Das Leben der Passagiere steht über eventuellen Opfern in der Bevölkerung. Es handelt sich in allen solcher Fragen um Eventualitäten und dem unverschuldetem Hineingeraten in eine Situation. Quantitativ lässt sich das Glück so nicht aufwiegen.
Auch in der Philosophie ist eine Antwort mitnichten herbeizuführen. Zwar war bereits John Stuart Mill, ein englischer Denker aus dem 19.Jahrhundert, der Meinung, das oberste Ziel sei das größtmögliche Glück für die größtmögliche Zahl, doch lässt sich dieses Verständnis nicht auf die Justiz übertragen.
Um die Diskussion um die Sicherungsverwahrung und alle ähnlichen Themen zu beenden, ist also eine ethische Grundsatzentscheidung in Deutschland nötig. Die Politik und Gerichte drücken sich vor dieser Auseinandersetzung. Dabei wäre eine von der Gesellschaft getragene Entscheidung auch bei Fragen nach der Sinnhaftigkeit des Afghanistan-Einsatzes oder der Rettung von Unternehmen hilfreich.
Die jetzige Debatte lenkt aber auch von einem weiteren Punkt ab: dem ineffektiven Justizvollzug. Zwar ist die Sicherungsverwahrung nicht identisch zu dem Strafvollzug, laut deutschem Strafrecht haben beide jedoch gemein, Maßregeln zur Besserung und Resozialisierung der Straftäter zu finden.
Wo sind diese Maßregeln, wenn unter den für dieses Jahr freizulassenden Straftätern alle 84 immer noch als gefährlich gelten? Im deutschen Strafvollzug werden Freiheitsstrafen eher als Wegsperren betrachtet als der Versuch, die Täter auf der einen Seite zu betrafen, auf der anderen aber auch gleichzeitig zu resozialisieren. Der Staat ist durch das Strafrecht in der Pflicht, die Bevölkerung zu schützen aber auch den Tätern Hilfe anzubieten. Es scheint, als ob die Hilfe versagt bleibt oder nicht fruchtet. Jedoch werden sich schwerlich Straftäter finden lassen, die gerne mit ihrem unkontrollierbaren Trieb leben möchten. Die Justizvollzugsanstalten sollten sich somit nicht nur auf die Verwahrung der Straftäter konzentrieren, sondern auch auf effektive Maßregeln. Wenn sie dies schon nicht moralisch begründen können oder wollen, dann aber wenigstens aus der Pflicht dem Steuerzahler gegenüber.

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