Sonntag, 10. Oktober 2010

Karsai’s Kuschelkurs mit den Taliban bringt NATO in ein Dilemma

Als ob die Situation in Afghanistan nicht schon kompliziert genug sei. Seit 2001 kämpfen die ISAF-Truppen gegen die Taliban und sind weit von einem militärischen Sieg entfernt. Dass dieser dennoch errungen werden kann, wird mehr und mehr bezweifelt. Und nun scheint Hamid Karsai weiter als jemals zuvor in Verhandlungen zwischen der Regierung und den Taliban zu stehen.
Somit steckt die NATO in einem Dilemma. Die vom Kommandeur der ISAF-Truppen David Petraeus entwickelte Strategie counter-insurgence sieht den schonungslosen Umgang mit den Taliban vor, vornehmlich deren Tötung. Sollte die NATO nun mit der gezielten Tötung hochrangiger Taliban fortfahren, könnte deren Verhandlungsbereitschaft drastisch sinken. Zwar befinden sich im Moment mehrheitlich gemäßigte Taliban in Gesprächen mit Karsai, sollten deren Stammesbrüder, die Paschtunen, zu denen auch Karsai zählt, jedoch weiter Ziel alliierter Attacken bleiben, könnte das die zaghaften Bemühungen zunichte machen.
Bereits seit 2008 soll es geheime Gespräche zwischen Regierung und Taliban geben. Gefruchtet sind diese bislang aber nicht. Auch Obama signalisierte 2009 Verhandlungsbereitschaft. Da die Taliban jedoch den Abzug der Streitkräfte zur Vorbedingung machten, blieben auch diese Bemühungen ergebnislos.
Die Einbeziehung einer Gruppierung, die von 1998 bis 2001 Afghanistan mit eiserner Hand regierte, Frauen den Zugang zu Bildung verweigerte, und Gesetze über den Rahmen der Scharia hinaus bestrafte, demonstriert, wie aussichtslos die NATO-Truppen ihre eigene Lage bewerten. Bereits im kommenden Jahr will Obama mit dem Truppenabzug beginnen. Doch das afghanische Militär und die Polizei sind bei weitem noch nicht bereit, Herr der Lage zu werden.
Auch der Druck in der Heimat wird weiter wachsen. Westliche Regierungen haben Schwierigkeiten ihren Wählern den Grund ihres Engagements in Afghanistan zu erklären. Nach dem Einmarsch der Truppen 2001 haben sie jedoch ein Land das nahe dem Bürgerkrieg steht, geschaffen. Die Alliierten müssen ihrer Verantwortung gegenüber dem afghanischem Volk gerecht werden und ihnen bei einem Abzug eine funktionierende Infrastruktur, eine stabile Regierung und Chancen auf Beteiligung am Welthandel hinterlassen.
Die Frage ist nun, wie man das schnellstmöglich erreichen kann. Ist Afghanistan selbst in der Lage, sich zu befrieden? Kann Karsai, dem unter anderem Korruption nachgesagt wird, die Lage entspannen, die Taliban entwaffnen und sie auf die derzeitige Verfassung einschwören? Und vor allem, kann der Westen darauf vertrauen?
Wenn die NATO es wagt ihre Mission counter-insurgence einzustellen und Karsai scheitert, wären die Taliban auf dem sicheren Weg, erneut die Macht zu ergreifen. Sollte Karsai Erfolg haben, könnten die Afghanen endlich selbst ihr Schicksal in die Hand nehmen und ihr Land würdevoll gestalten. Die NATO muss sich entscheiden. Auf beide Pferde kann sie nicht setzen. Doch wirklich bleibt ihr bei dem jetzigen Schlamassel ohnehin keine Wahl mehr. Vertrauen scheint der einzige Ausweg zu sein.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Kommentare sind sehr gern gesehen und eröffnen die Möglichkeit zum Austausch politischer Meinung.