Donnerstag, 10. Mai 2012

RIP Griechischer Euro

Unverzüglicher Austritt Griechenlands aus der Währungsunion ist unvermeidbar

Das Gezerre um Griechenland nimmt kein Ende. Seit dem Aufdecken des massiven Haushaltsdefizits im Herbst 2009 dreht sich die europäische Schuldenkrise weitestgehend um die Hellenen. Und somit auch die Rettungsbemühungen der EU und des IMF, sowie die Garantien europäischer Steuerzahler.

Seit Heraufziehen der Krise ist Griechenlands Rating von BBB+ auf CCC (S&P) gesunken – „extremely speculative“ im Fachjargon also. Und so muten auch die Rettungsmaßnahmen an. Nicht nur, dass viele Bundestagsabgeordnete keine Ahnung hatten, welche Geister sie nun rufen – teils auch beabsichtigt in Unwissen belassen, nimmt die Bereitschaft in der Koalition und Bevölkerung rapide ab, weitere Maßnahmen zu billigen.

Und so kam es, dass das erste Hilfsprogramm im April 2010 als ein großverkündeter Rundumschlag gegen die Finanzmärkte gefeiert wurde. 110 Milliarden Euro. Das war wohl nichts. Genauso wenig wie die mutmaßlich konstruktiven Vorschläge aus dem Lager Stammtisch: der Verkauf griechischer Inseln war ebenso im Gespräch wie der Export griechischen Solarstroms nach Deutschland und deutschen Rentnern ihren Urlaub in der Nebensaison in Griechenland schmackhaft zu machen.

Alles heiße Luft, so dass im Juli 2011 die Aufstockung des Rettungspakets um weitere 109 Milliarden Euro beschlossen wurde. Darüber hinaus haben sich auch private Gläubiger einen Verzicht auf 37 Milliarden Euro aus den Rippel leiern lassen.

Damals wie heute wurden anlässlich jeder einzelnen Schreckensnachricht aus Griechenland Austrittsrufe laut – raus aus dem Währungsraum, raus aus der EU! Letzteres jedoch weniger als Drohung, denn als notwendige Konsequenz aus Vertragslücken im Regelwerk. Solchen Rufen wurde jedoch mit Hilfe einiger, aus damaliger Sicht nachvollziehbarer Gründe eine Abfuhr erteilt:
  1. Der Austritt schafft einen unkontrollierbaren Präzedenzfall, die Folgen seien unabsehbar.
  2. Die Ansteckungsgefahr für den restlichen maladen Währungsraum könnte eine Kettenreaktion in Gang setzen.
  3. Die Gläubiger müssten mit einem kompletten Zahlungsausfall Griechenlands rechnen.
  4. Griechenland entzöge sich damit jeglicher Kontrolle von außen.
  5. Ein Wiedereintrittsszenario war bis dahin noch nicht entworfen worden.
  6. Und letztlich die Psychologie der Teilnehmer: das Eingestehen einer Niederlage, die Kapitulation vor den Märkten, die Hoffnung gestärkt aus der Krise hervorzugehen und den Euro als Ganzes zu retten.
Nun denn, auch die weiteren Rettungsversuche fruchteten wenig. Der Lebensstandard der griechischen Bevölkerung sinkt rapide. Es gab Tote bei Demonstrationen in Athen. Die Märke beruhigten sich keineswegs. Und die Solidargemeinschaft sah sich im März diesen Jahres erneut gezwungen, dem griechischen Fiskus unter die Arme zu greifen: 130 Milliarden Euro Kreditzusagen und der Verzicht privater Gläubiger auf 85,5 Prozent ihrer Forderungen.

Die Rettungsmaßnahmen von außen gehen einher mit massiven Sparbemühungen der hellenischen Regierung: 3 Sparpakete und die Ankündigung eines weiteren haben die griechische Konjunktur in einen unaufhaltsamen Abwärtsstrudel gestürzt. Doch nicht nur die Konjunktur unterliegt dem Schicksal griechischer Sparpolitik, auch die internationalen Geldgeber sind auf Gedeih und Verderb mit der Entwicklung des Inselstaates verbunden. Die Reduktion der Gesamtverschuldung auf 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) bis 2020? Keinesfalls sicher.

Und jetzt das: der Ausgang der Wahlen am Sonntag verheißt nichts Gutes. Die pro-europäischen sparwilligen Volksparteien sind abgewählt und koalitionsunfähig. Außengruppierungen, links als auch rechts, geben den Ton an. Und der ist mitunter wenig kompromissbereit. Abermals ist Europa gelähmt von den Entwicklungen in einem 11 Millionen Einwohner Land, dessen Anteil am EU-BIP nicht einmal 3 Prozent beträgt. Die Wahlentscheidung einiger weniger beeinflusst die Politik in der gesamten Union, fesselt die Märkte, bestimmt die Agenda monetärer Institutionen und betrifft letztlich auch jeden einzelnen Steuerzahler.

Diese Einflussnahme muss nun endgültig beendet werden. Griechenland darf zwar nicht alleine seinem Schicksal überlassen werden, doch die Vergemeinschaftung dessen ist nicht weiter tragbar. Die Hellenen müssen den Euroraum und die Union verlassen – wenn nicht aus freien Stücken, dann gezwungenermaßen. Der Versuch ein krankhaftes Körperteil zu genesen ist nur insoweit nachvollziehbar, bis er nicht droht, den gesamten Organismus abzutöten. Das Gegenmittel der Medizin: Amputation. Denn die Gesundung des Euroraums steht auf dem Spiel, da sich die Märkte nicht beruhigen, die Mittel aus IMF, ESM und EFSF ins bodenlose Fass Griechenland fließen und die Europäer insgesamt nicht aus ihrem Krisentief kommen.

Aus heutiger Sicht spricht, die obigen Punkte wieder aufgreifend, nichts gegen eine Abkopplung der Griechen.
  1. Der Verbleib Griechenlands in der Union ist mittlerweile unkontrollierbarer als dessen Ausschluss (siehe Wahlen). Der Best Case sieht eine Entschuldung bis auf 120 Prozent des BIP bis 2020 vor. Die letzten 2 Jahre beweisen, eine Planung über 8 Jahre ist völlige Utopie.
  2. Spanien, Italien etc. haben eigene Entschuldungsagenden, welche bis auf wenige Ausnahmen stringent und erfolgreich verfolgt werden. Zwar bleibt die konjunkturelle Entwicklung größtenteils hinter den Erwartungen zurück, dennoch sind es die Nachrichten aus Griechenland, die die Blicke der Märkte immer wieder auf die anderen Staaten lenken und das Unsicherheitsniveau hochhalten.
  3. Mit dem Verzicht von 85,5 Prozent ihrer Forderungen haben die Gläubiger bereits auf das Gros griechischer Verbindlichkeiten verzichtet. Unabhängig von etwaigen bestehenden Kreditausfallversicherungen mancher Gläubiger, ist der Verzicht auf die übrigen 14,5 Prozent durchaus zu verkraften.
  4. Der Austritt Griechenlands darf nicht zur Folge haben, dass Verbindlichkeiten gegenüber IMF und EFSF nicht weiter bedient werden. Ein Verzicht der Privatgläubiger, also vornehmlich Banken, darf für EFSF & Co. nicht gelten. Andernfalls würden die griechischen Verluste allen europäischen Steuerzahlern aufgebürdet werden. Dies ist nach bestehenden Verträgen verboten, denn Artikel 125 des Lissabonner Vertrags sagt unmissverständlich „Die Union haftet nicht für die Verbindlichkeiten der Zentralregierungen […]“. Somit haben die Institutionen weiterhin die Möglichkeit, Einfluss auf die griechische Regierung zu üben und die Einhaltung des Sparkurses zu überwachen.
  5. Ein Wiedereintrittsszenario fehlt weiterhin. Ehrlicherweise ist jedoch auch keines notwendig. Denn seit der Einführung des Euro 2001 ist die Euro-Zone von 12 auf 17 Mitglieder angewachsen. Dabei geriet keines der Mitglieder seit 2001 so sehr ins Straucheln wie Griechenland. Analog zu diesen Staaten ließe sich auch in Griechenland der Euro wieder einführen.
  6. Hier liegt wohl die größte Herausforderung: das Eingestehen eines Scheiterns der Währungsunion als Ganzes. Doch Tränen darüber zu verlieren wäre reine Heuchelei. Dass Bevölkerung, Politik und EZB dem Übel der Hellenen Leid sind, lässt sich nicht nur an den halbherzigen Ermahnungen nach den Wahlen am Sonntag, den Sparkurs weiterhin zu verfolgen, ablesen. Auch die Bereitschaft ein dringend notwendiges Wachstumsprogramm zu entwickeln ist äußerst gering. Investitionen in Infrastruktur und Arbeitsmarkt sind eben kurzfristig nicht so renditestark wie Kredite und schwerer zu argumentieren als reine Bürgschaften. Folglich ist die Idee gemeinsamer europäischer Projektanleihen Seifenblasenpolitik. Die Beteiligten müssen über ihren Schatten springen und sich das Unvermeidliche eingestehen.
Sicherlich, ein Austritt Griechenlands aus der Währungsunion birgt ungewisse Risiken. Jedoch der Sicherheit eines schleichenden Staatsbankrots der Unsicherheit potenzieller Risiken Vorzug zu geben ist feige. Der Austritt würde der Union die benötigte Ruhe verschaffen sich angemessen auf die anderen Krisenstaaten zu konzentrieren. Deren Wirtschaften sind noch weitestgehend intakt und lassen sich entsprechend über Reformen und Sparwillen aufpäppeln.

Darüber hinaus sind weitere Investitionen in Strukturprogramme notwendig, welche die Ressourcen aus EFSF und ESM beanspruchen werden. Diese sollten den funktionierenden Wirtschaften vorbehalten werden. Darüber hinaus wird deutlich, dass Griechenland seine Wettbewerbsfähigkeit lediglich über das Herabsenken der Lohnstückkosten, sowie der Abwertung einer eigenen Währung herzustellen vermag. Der Verbleib in der Eurozone und die Refinanzierung über die Kapitalmärkte bricht den Hellenen das Genick.

Mit der Unterstützung von EU und IMF kann ein eigenständiges Griechenland mit neuer Drachme wesentlich effektiver und im Besonderen weniger zu Lasten der Bevölkerung „restauriert“ werden. Die Rückkehr an den Kapitalmarkt und in die Währungsunion sollte nach erfolgreicher Konsolidierung in Aussicht gestellt werden. Was fehlt ist bisweilen der Mut, das Unvermeidliche endlich auszusprechen und den griechischen Euro zu Grabe zu tragen.

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